Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
Ding, meine Aufgabe, genau wie die Führung dieses Clans. Dazu bin ich geboren. Meine Mutter leitet die Geschäfte in Italien.«
»Wie viele?«, fragte sie, und die Wirklichkeit verschwamm. Die ganze Umgebung wurde irreal in einer Welt, in der ein Leben weniger zählte als eine Mensch-ärgere-Dich-nicht-Figur, die man vom Spielfeld kickte.
»Sechs Männer, eine Frau. Auf unserer Seite auch ein paar.«
Sie wickelte sich in die Wolldecke, die nach feuchtem Fell roch, und kroch von ihm fort bis ans andere Ende des Bettsofas. Die Kälte ließ sie mit den Zähnen klappern.
»Jetzt weißt du alles über mich, die ganze Wahrheit.«
Unehrlichkeit konnte sie ihm wirklich nicht vorwerfen. Beim besten Willen nicht. »Und nun?«
»Jetzt bist du dran mit deiner Entscheidung.«
»Welche denn?«, wisperte sie. Sie kannte die Antwort, bevor er sie gab.
»Ob du meine Familie nach Kalabrien begleiten willst. Heute Nacht brechen sie auf. Ich komme nach, sobald ich kann.«
59.
Fabian Grundmann parkte zwischen Klatschmohn und Margeriten an der Landstraße nach Lobenrot. Nicht weit von ihm mündete der Feldweg ein, der zum Anwesen Alberto Corteses führte. Rings um ihn breitete sich trügerischer Abendfrieden aus. Nach dem Regen leuchteten die Wolken scharlachrot von der untergehenden Sonne. Ein Bauer tuckerte auf seinem Traktor vorbei und winkte den Autos, die ihn eins nach dem anderen überholten, zu. Weiter vorn stand ein unbeleuchtetes Auto halb im Graben. Der Fahrer war nicht zu sehen.
Fabian klickte sich auf seinem Handy bis zu Kellers Nummer durch. Sein Chef, der wahrscheinlich schon bei seinem gemütlichen Feierabendbier auf der Terrasse saß, ging nach dem dritten Klingeln dran. »Wo bist du?«
»In Lobenrot.« Fabian holte tief Luft. »Laura Cortese hat ausgesagt. Die Corteses sind ein Mafiaclan. ’Ndrangheta. Der alte Alberto ist einer der Chefs, und Corrado ist wahrscheinlich der Killer, der Ölnhausen auf dem Gewissen hat.« Am anderen Ende blieb es einen Moment still.
»Dann brauchen wir das SEK«, sagte Keller dann.
Fabian zog seine Augenbrauen zusammen und dachte an das Blut, das fließen würde, wenn das Sondereinsatzteam das Haus stürmte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Leonie das überleben würde, wäre nicht allzu hoch.
»Warte! Sie haben Leonie. Ich muss mir das erst ansehen. Ich rufe dich in fünf Minuten zurück.« Bevor Keller etwas entgegnen konnte, hatte er aufgelegt.
Fabian stieg aus, übersprang den Straßengraben und erreichte eine Wiese, über der weißer Abendnebel aufstieg. Feuchtigkeit legte sich auf sein Gesicht. Am anderen Ende grasten ein paar Kühe.
Er ging schnurstracks geradeaus. Hinter seiner Stirn pochte es schmerzhaft. Eigentlich wusste er erschreckend wenig. Nicht einmal, ob Leonie überhaupt hier war.
War sie bewusst untergetaucht, weil sie mit Gianluca das Land verlassen wollte? Er versuchte, den Gedanken auszuschalten und zu verdrängen, der ihn zu zerreißen drohte, doch er tauchte immer wieder auf. Liebte sie Gianluca mehr als ihr Kind? Das konnte nicht sein. Niemals. Oder doch? Er musste Gewissheit haben.
Verbissen stapfte er über die schlammige Wiese und erreichte ein Waldstück, von dessen Rand aus das Haus der Familie Cortese schon gut zu sehen war. Der rote Himmel erlosch wie ein Feuer, das ausgetreten wurde. Als ein Auto den Feldweg hinaufkam, konnte er durch einen gezielten Sprung in den Schatten gerade noch verhindern, dass das Fernlicht ihn streifte. Lautlos schwang das Stahltor in der Umzäunung auf. Das Auto war kaum verschwunden, als Motorengeräusch schon das nächste ankündigte. Es fuhr mit Abblendlicht, so langsam und zielgerichtet, dass Fabian in der Dämmerung das Kennzeichen erkannte. GG für Gaggenau.
Fabians Handy vibrierte hartnäckig, und er ging ran. »Das hier wird immer mehr zur Versammlung. Sieht aus, als ob der ganze Clan noch heute Nacht die Biege macht, wie Laura Cortese gesagt hat.«
Keller zögerte jetzt nicht mehr. »Hör zu!«, sagte er. »Wenn ich über die Funkeinsatzzentrale das SEK aus Göppingen bestelle, dauert es dreißig Minuten, bis sie da sind. So lange verhältst du dich ruhig und wartest. Komm ja nicht auf die Idee, da reinzugehen!« Als Fabian schwieg, wurde Keller deutlich. »Wenn du nicht hörst, lasse ich dich versetzen. Dann kannst du wieder Streife fahren.«
Fabian klickte Keller weg und starrte nachdenklich auf das geöffnete Tor. Wenn er auch nur einen Fuß über die Schwelle setzte, würde er als Leiche in den
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