Blutiger Regen: Leonie Hausmann ermittelt im Schwäbischen (German Edition)
schraubte es zu und hielt es in die Luft. »Finger weg!«, ermahnte sie ihren Sohn. Mit frisch lackierten Fußnägeln hopste sie zum Fenster und ließ die regenkühle Luft ein, die den Geruch nach Lösungsmittel vertrieb.
»Ach ja?« Sybille stand auf. »Also hör mal! Am Sonntag sitzt plötzlich dieser Polizist am Tisch, der gar nicht weiß, wie attraktiv er ist. Am Mittwoch steht wie aus heiterem Himmel Leanders Vater vor der Tür, der dich – mit Kusshand – zurücknehmen würde. Mit dem könntest du glatt ein Jetsetleben führen. Und heute hast du plötzlich eine Einladung von einem jungen italienischen Starkoch, zu der ich als Anstandsdame mitgehe. Und du sagst, bei dir läuft nichts. Guck mich mal an!« Mit einer zornigen Bewegung strich sie sich eine blonde Strähne hinter die Ohren. »Bei mir ist alles seit sechs Jahren gebongt, inklusive Bausparvertrag. Martin und ich, wir werden heiraten. Aber manchmal prickelt das Schöfferhofer Weizen eben nicht mehr im Bauchnabel.«
Plötzlich fielen Leonie in Sybilles Gesicht zwei scharfe Falten auf, die sich von ihren Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln zogen. In jeder saß mehr als nur eine Spur Bitterkeit. Leonie ahnte, was dieses Geständnis ihre perfekte Schwester kostete. Sie stand auf, zog sie in die Arme und sog den Geruch ihrer sauberen, shampooduftenden Haare ein.
»Heute Abend, da machen wir zusammen einen drauf. Und morgen, da siehst du alle Vorteile, die sich dir bieten, wieder neu. Immerhin weißt du, wo du hingehörst. Bei mir, da tut sich seit …« Sie zählte mit den Fingern nach. »Sechs Tagen was. Davor war anderthalb Jahre lang Sendepause.« Sie ging zum Kleiderschrank und begann, zwischen Röcken, Hosen und Oberteilen zu wühlen. »Mit Fabian täuschst du dich. Der ist ein Schulkamerad, nett zwar, aber ich weiß nicht. ob da mehr draus wird. Er gefällt mir schon. Aber ich habe jetzt fünf Tage auf den nächsten Schritt gewartet, und von seiner Seite aus kam gar nichts.«
Sie legte ein schwarzes Top und eine enge Jeans aufs Bett, drapierte die Sachen übereinander und schüttelte den Kopf. »Zu rockig. Und Damiano. Den will ich nicht zurück, nicht einmal geschenkt.«
»Und dieser Gianbattista Luca?«
Leonie lachte verlegen. »Gianluca Battista. Der hat mich komplett geflasht. Es lag wohl daran, dass so viel Elektrizität in der Luft lag. Es gewitterte nämlich.« Sie hob Leander auf ihre Hüfte und begann, auf der mittleren Ebene zu graben, wo ein Haufen T-Shirts lag, den sie der Einfachheit halber direkt aus dem Wäschekorb an ihren Platz gekippt hatte. Nichts. Darüber hing das beige Zwanziger-Jahre-Kleid mit den Spaghettiträgern, ein Markenteil, das sie sich im Secondhandladen geleistet hatte. »Wäre das was?« Sie holte das Kleid, dessen Rock bei jeder Bewegung elegant mitschwang, aus dem Schrank und drehte es nach vorne.
Sybille zuckte die Schultern. »Es regnet. Das ist viel zu leicht. Und es ist puderfarben – fast durchsichtig.« Sie rümpfte die Nase. Und trotzdem, Leonie legte den Traum aus drei Chiffonschichten aufs Bett und fuhr sehnsüchtig über den Seidenstoff. »Und wenn ich eine Strickjacke dazu anziehe?«
»Ach, mach doch, was du willst!« Sybille schüttelte den Kopf. »Ich hole mir jedenfalls heute Abend keine Erkältung. Und ein Sommerkleid kann ich sowieso nicht anziehen, weil du mir die weißen Sandaletten verdorben hast.«
»Die kriege ich wieder hin.« Leonie streifte ihr T-Shirt ab und zog sich unter Sybilles kritischen Blicken den dünnen Fummel über die Schultern. Der Mops öffnete ein Auge, blinzelte und schlief weiter.
»Vernünftig war ich lange genug«, sagte sie.
37.
Die bunte Lichterkette auf der Terrasse des »Sotto le Stelle« schwankte im Wind. Darüber hing ein Himmel voller Wolkenfetzen. Der Garten war wie leergefegt. Die Stühle standen schräg an die Tische gelehnt und tropften vor sich hin, aber die Fenster des grauen Hauses leuchteten anheimelnd. Gianlucas Restaurant hatte beste Kritiken bekommen und war auf dem Weg, der Geheimtipp des Landkreises zu werden. Mit kluger Hand hatte er die günstige Lage im Naherholungsgebiet am Jägerhaus gewählt. Sonntags trieben sich hier oben, weit über dem Neckartal, Horden von Spaziergängern, Joggern und Walkern herum. Verschiedene Sportplätze und der Esslinger Reitstall lagen gleich nebenan, so dass immer Aussicht auf hungrige Gäste bestand.
Sybille fuhr in die letzte Lücke auf dem fast vollen Parkplatz. Sie stiegen aus und umrundeten
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