Blutiger Sand
zu uns herüber. Der Dicke ist verschwunden.
„Tom ist ein bisschen plemplem.“ Jamie macht eine eindeutige Handbewegung. „Aber er hat alles im Griff, glaubt mir“, versichert er uns, als wir keuchend zu unserem Auto zurückkehren.
„Wir hätten alle in die Luft gehen können!“
„Puff, puff“, macht Jamie. Er scheint die ganze Geschichte sehr komisch zu finden.
„Macht er das öfter?“, fragt Orlando.
„Ja. Hier ist ja sonst nicht viel los. Ein bisschen Spaß muss sein, nicht wahr, Kleiner?“ Jamie legt den Arm um Orlandos Schultern.
Obwohl Orlando Berührungen von Männern normalerweise genießt, bemerke ich, wie er sich versteift.
„Lasst uns zuerst mal was trinken.“ Galant hält mir Jamie das Fliegengitter vor dem Eingang der Bar auf. Tür gibt es keine.
Drinnen stinkt es wie in einer Latrine. Der graue Steinboden ist mit Sand bedeckt. An den Wänden hängen vergilbte Werbeplakate von Marlboro und Lucky Strike. Ein großer Eiskasten aus den Anfängen der Kühlschrankproduktion nimmt fast die Hälfte des Raumes ein. Auf der Theke stehen schmutzige Gläser, in einem Regal dahinter jede Menge halbleere Flaschen und in den Kaffeetassen schwimmen tote Fliegen. Zwei kleine Tischchen, ein paar Plastikstühle und überquellende Müllsäcke ergänzen das karge Interieur.
Aus einem altmodischen Ghettoblaster dröhnt die Stimme des Kings. Ich mag die Musik von Elvis Presley, ist sie doch die Lieblingsmusik meiner Eltern gewesen. Sogleich fühle ich mich eine Spur wohler, trotz all des Drecks und Staubs in dieser merkwürdigen Bar am Arsch der Welt.
Der dicke Tankwart ist nirgends zu sehen.
Plötzlich kommt eine Frau in meinem Alter hinter einem halb geschlossenen Vorhang hervor. Hinter dem Vorhang befindet sich ein Stahlrohrbett, registriere ich so nebenbei. Aus der Nähe sieht die Frau etwas zerknittert aus, so als hätte sie gerade geschlafen. Wahrscheinlich ist sie doch ein paar Jährchen älter als ich.
„Das ist Claire“, sagt Jamie. „Toms Squaw.“
„Hallo Claire. Ich bin Katharina und das ist Orlando.“
„Ich hab dir schon hundertmal gesagt, du sollst mich nicht Squaw nennen“, faucht Claire unseren Retter an. Ihre dunklen Augen funkeln wütend.
Ihr langes schwarzes Haar, in dem sich bereits die ersten grauen Strähnen zeigen, hat sie zu zwei Zöpfen geflochten. Trotz der Falten ist sie eine schöne Frau. Hohe Wangenknochen, schräg stehende schwarze Augen, die mich an Simon Hunters Augen erinnern, und üppige, sinnliche Lippen. Zudem ist sie schlank, aber an den richtigen Stellen gut gepolstert.
„Sie ist eine Navajo“, flüstert Jamie mir ins Ohr.
Ein alter Hund mit zottigem schwarzen Fell trottet heran und beschnuppert uns.
Langsam macht Orlando ein paar Schritte rückwärts.
Ich streichle das verlauste Vieh. Hoffe, dass der Köter bei mir bleibt und Orlando in Frieden lässt.
„Woher kommt ihr?“, fragt die Indianerin.
„Las Vegas.“
„Was möchtet ihr trinken?“
„Ice Tea bitte.“
„Ich auch“, sagt Orlando.
„Im Kühlschrank. Bedient euch selbst. Habt ihr Hunger?“
„Ein bisschen.“ Orlando hat ja nur ein paar Pommes frites im Magen.
„Ich mache euch eine Tortilla. “
„Ich muss dringend aufs Klo“, sagt Orlando, nachdem Claire wieder hinter dem rotbraunen Vorhang verschwunden ist.
Die Küche dieses Etablissements befindet sich entweder im Schlafzimmer oder es gibt dahinter noch einen Raum, denke ich.
„Frag Claire.“
„Komm mit mir. Ich zeig dir das Klo“, sagt Jamie grinsend.
Da ich mir lebhaft vorstellen kann, wie die Toiletten hier aussehen, muss ich ebenfalls grinsen.
Der alte Köter folgt ihnen.
In dem Moment pfeift Claire ihn zu sich: „Komm her, Manson!“
Habe ich richtig gehört? Haben die ihren Hund tatsächlich nach diesem Monster Charles Manson benannt?
Orlandos jämmerlicher Gesichtsausdruck, als er von der Toilette zurückkommt, bestätigt meinen Verdacht, dass das Klo unbenutzbar ist. Ich beschließe, die kommende Nacht nicht auf dieser beschissenen Tankstelle zu verbringen. Lieber campiere ich mit Orlando irgendwo draußen in der Wüste. Zum Glück habe ich uns in Vegas ein Zelt besorgt.
Ich mache mich auf die Suche nach Claire und ihrer Küche.
Der mit einer Zeltplane überdeckte Kochplatz befindet sich hinter der Bar im Freien. Der Herd ist durch ein Kabel mit einem Strommasten verbunden, der windschief in den orangeroten Himmel ragt.
Von hier aus hat man einen herrlichen Blick auf die fernen Berge.
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