Blutiger Sand
Ich bin mir sicher, dass er nicht einmal die Hälfte davon schaffen wird.
Mike spricht weiter, während er isst: „Wir gehen von der Einheit zwischen Mutter Erde und Vater Himmel aus. Glauben, dass die Menschen tief im vierten Schoß der Erde geschaffen wurden und mit Hilfe von zwei Kindern der Sonne, den Kriegsgöttern, herausgeklettert sind. Am beliebtesten bei uns sind die Übernatürlichen, die Wolkengeister und die Regengeister. Wir sind davon überzeugt, dass die Toten zu Wolken werden, die den Regen schicken. Unsere Katsinam zum Beispiel – das sind prächtig kostümierte Männer mit sehr fantasievollen Masken – tanzen auf den Plazas, um die Menschen glücklich zu machen oder um Regen zu bringen.“
„Von den Katsinam habe ich gehört. Manche sollen ja richtig furchterregend aussehen.“
„Unsere Religion ist relativ frei von Angst und Unterdrückung“, sagt er gereizt.
Obwohl er sich offenbar ungern unterbrechen lässt, werfe ich jetzt eine Frage ein, die mich schon die ganze Zeit beschäftigt hat: „Ich habe gehört, dass die Hopi für ihre Schlangentänze berühmt sind, ja sogar Schlangen anbeten sollen.“
„Du meinst unsere Schlangenpriester?“
„Ja. Was hat es mit denen auf sich?“
„Wieso interessierst du dich für sie?“
Bilde ich mir nur ein, dass er mich misstrauisch ansieht?
„Bei uns fürchten sich die meisten Menschen vor Schlangen.“
„Die Schlangenpriester sind sehr mutig. Sie verwenden lebende Schlangen anstatt von Attrappen. Die Zeremonie, bei der sie mit den Schlangen in ihren Mündern tanzen, dauert acht Tage. Die maskierten Priester tanzen den ganzen Tag, um Segen für ihren Stamm zu erbitten. Einige dieser Medizinmänner können sogar Krankheiten heilen, indem sie diese buchstäblich heraussaugen. Die Heiler besuchen die Kranken aber meist heimlich, da sie verdächtigt werden, Hexenkräfte zu besitzen.“ Er ist immer leiser und leiser geworden. Seine letzten Worte habe ich kaum mehr verstanden.
Ich bestelle Kaffee für uns alle und verlange die Rechnung.
Mike besteht nicht darauf, sein Essen selbst zu bezahlen, sondern lässt sich von mir einladen.
Vor unserem Motel rauchen wir beide noch eine Zigarette.
„Möchtest du den Schmuck sehen?“, fragt er.
In diesem Augenblick kommt Orlando aus unserem Zimmer und fährt mich an: „Du kommst jetzt sofort ins Bett. Wir müssen morgen früh raus, wenn du diese Felsenwohnungen sehen willst. Außerdem musst du die ganze Strecke bis Taos allein fahren. Nach diesem schrecklichen Debakel heute greife ich kein Steuer mehr an.“
Mike schlägt vor, uns morgen Früh nach Mesa Verde zu begleiten und den Fremdenführer für uns zu spielen.
Als Orlando und ich endlich in unseren Betten liegen, warnt er mich vor unserem neuen Bekannten. „Dieser Typ ist nicht echt, glaub mir. Bei Karl May waren die meisten Mestizen Betrüger.“
„Rassistischer Unsinn!“
„Du hättest ihm sicher seine ganze Kollektion abgekauft, wenn ich nicht eingeschritten wäre“.
„Er hat kein Geld für die morgige Führung in Mesa Verde verlangt.“
„Wer weiß? Zum Essen hat er sich ja auch von dir einladen lassen, obwohl ursprünglich nicht die Rede davon war. Deine Menschenkenntnis ist nicht die beste.“
„Dafür bist du ein großartiger Menschenkenner!“
Er wirkt eingeschnappt.
„Hast du nicht interessant gefunden, was er uns über seinen Stamm erzählt hat?“
„Ja, von mir aus. Trotzdem, er kann einem nicht in die Augen sehen. Das ist ein falscher Hund!“
„Simon Hunter hat uns doch erklärt, dass die Indianer Augenkontakt mit ihren Gesprächspartnern vermeiden.“
„Das hat er über die Navajo gesagt. Mike ist ein halber Hopi.“
„Na und? Warum sollten sich die Hopi anders verhalten.“
„Ach, Kafka. Sobald dir ein gut aussehender Mann über den Weg läuft, setzt dein Verstand aus …“
„Du darfst gerade reden.“ Ich habe keine Lust, mich auf diese idiotische Diskussion einzulassen. Sage „Gute Nacht“ und mache das Licht aus.
Der Sonntag beginnt mit einem leichten Regenschauer. Wir ziehen unsere mit Fleece gefütterten Windjacken an.
Mike erwartet uns im Frühstücksraum. Er trägt, so wie gestern, eine dünne Jeansjacke.
Das Frühstück lässt zu wünschen übrig. Außer ein paar in Zellophan verpackten Donuts gibt es nur labbriges weißes Toastbrot und kalte Rühreier.
Nach der ersten Tasse Kaffee drängt Orlando zum Aufbruch. Mike fährt mit uns.
Sobald wir in unserem Wagen sitzen, hat sich der
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