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Blutiger Spessart

Blutiger Spessart

Titel: Blutiger Spessart Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guenter Huth
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Makroaufnahme einer Gewehrhülse. An der Hülsenöffnung war eine markante Eindellung zu erkennen. Sofort hetzte sein Blick zum nächsten Foto: Es zeigte den Boden derselben Hülse in Nahaufnahme. Gestochen scharf konnte er die dort eingeprägte Bezeichnung lesen: .35 Whelen. Das dritte Foto präsentierte das Portrait eines jungen Mannes, der provokant in die Kamera grinste: Ricardo Emolino. Er drehte die Fotos herum. Auf dem Bild von Ricardo stand ein einziger Satz: »Wo ist er?« Völlig am Ende ließ er sich in seinen Bürosessel zurückfallen. Am liebsten hätte er laut losgebrüllt. Das war eindeutig eine Hülse, die aus seinem Gewehr abgefeuert wurde! Er kannte die typische Eindellung, die, wie er wusste, der Patronenauszieher seines Jagdgewehrs hinterließ. Wie kamen der oder die Absender an die Patronenhülse? Kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn. Mühsam beherrschte er sich und zwang sich zum Nachdenken. Die Botschaft kam ohne Frage von Francesco Emolino und konnte nur lauten: Wir haben deine Freundin Steffi in unserer Gewalt und wir wissen, was sich dort draußen an dem Maisfeld abgespielt hat. Sag uns, wo der Junge ist! Die Drohung war eindeutig und brutal.
    Langsam nahm er den Stick in die Hand und führte ihn in den USB-Anschluss seines Dienstrechners ein. Nachdem der Computer den Datenträger erkannt und akzeptiert hatte, konnte er das Inhaltsverzeichnis lesen. Es befand sich nur eine Datei darauf.
    Kerner kostete es einige Überwindung, sie mit einem Doppelklick zu öffnen, weil er bereits ahnte, dass das, was er nun zu sehen bekam, ziemlich hart sein würde.
    Die Qualität des Filmes war schlecht. Er war offenbar mit einem Handy aufgenommen worden. Trotz der leicht verwackelten Aufnahme konnte er jedoch ohne Mühe Steffi erkennen, die in einem Raum auf einer blanken Matratze auf einem Metallbett lag. Sie trug nur Shorts und ein T-Shirt. Wie es aussah, war sie mit Handschellen an Händen und Füßen an das Bettgestell gefesselt. Ihr Mund war mit Klebeband verschlossen. Mit einer gewissen Erleichterung nahm er zur Kenntnis, dass sie wenigstens am Leben war, denn in dieser Einstellung zerrte sie heftig an den Fesseln.
    Plötzlich traten zwei schwarz vermummte Männer ins Bild. Atemlos verfolgte er die Szene, in der seine Freundin geschlagen wurde und anschließend eine Injektion in den Arm bekam. Er hatte keinen Zweifel, was sich in der Spritze befand. Solche Bilder hatte er schon mehrfach in Aufnahmen gesehen, die Drogenermittler im Milieu gemacht hatten.
    Abrupt brach der Film ab.
    Wie versteinert saß Kerner da und starrte auf das Standbild der letzten Bildsequenz. Das unvermittelt nach der Spritze so unnatürlich friedliche, ja glücklich wirkende Gesicht seiner Freundin und ihre plötzliche, völlige Widerstandslosigkeit brannten sich ihm ein. Sie hatten Steffi in ihre Gewalt gebracht und ihr eine Droge, vermutlich Heroin, gespritzt. In Simon Kerners Gehirn überschlugen sich die Gedanken. Was konnte er tun, um Steffi zu retten? Es war ihm ein Rätsel, wie Emolino – an seiner Urheberschaft hatte er keinen Zweifel mehr – von diesem tragischen Vorfall am Maisfeld erfahren hatte. Mühsam zwang er sich, noch einmal den Ablauf dieser Unglücksnacht Schritt für Schritt durchzugehen. Das Bild der Patrone trug dazu bei, dass es ihm plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel und er seinen schlimmen Fehler erkannte: Er hatte nach seinem Schuss vergessen, die von seinem Gewehr automatisch ausgeworfene Hülse aufzuheben. Bestimmt war sie auf den Boden des Hochsitzes gefallen oder gar hinunter auf die Erde geschleudert worden. Kerner konnte sich jedoch nicht vorstellen, wie sie in die Hände Emolinos gekommen sein konnte. Vermut lich hatte der Pate nach dem Verbleib seines Jungen forschen lassen, als er vermisst wurde. Warum er allerdings auf die Idee gekommen war, an dem Hochsitz nachsehen zu lassen, war ihm ein Rätsel. Das deutete darauf hin, dass Emolino einen Spezialisten eingeschaltet hatte. Wahrscheinlich hatte man noch andere Spuren gefunden, die auf ihn hindeuteten und zusammen mit der Patronenhülse einen Verdacht in seine Richtung begründeten. Nur so gab es für Emolino einen Grund, Steffi zu entführen und ihn zu bedrohen. Der Mafioso konnte sich an fünf Fingern ausrechnen, dass er nicht zur Polizei gehen konnte, wenn er Ricardo tatsächlich erschossen hatte. Wenn er die Drohung also für sich behielt, war es gleichzeitig für Emolino der Beweis, dass er mit seinem Verdacht richtig lag. Die

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