Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
seine Gedanken Lügen. Im Hafenviertel von Sandleg verlief das Leben wie eh und je. Keiner störte sich an seinem Anblick, betrachtete ihn griesgrämig oder war gar feindselig. Händler verteilten ihre Waren an Kinder und Frauen, die hinüber zu den kleinen Gruppen von Ogern liefen und ihnen Nahrung und etwas zu trinken brachten.
»Herr Oger, Ihr seid auf. Bitte hier, ich habe einen Laib Brot und etwas Most für Euch. Ihr trinkt doch Most, oder?«
Es war Mogda unklar, ob sich seine Nackenhaare aufstellten, weil er bei der Einschätzung der Menschen so danebenlag, oder ob sein Körper danach strebte, den Mann zu töten, der ihn immer »Herr Oger« nannte. Er brauchte sich gar nicht umzudrehen, um zu wissen, dass es Ingert war, der ihm da nachstellte. Der Seemann war zusammen mit Cindiel am Vorabend gegangen, um ihr das Beiboot der Sturmwind zu überlassen. Immer wieder hatte er betont, Kapitän Londor nichts davon zu erzählen, weil er den Zorn des alten Seebären fürchtete. Erst als Mogda dem zugestimmt hatte, war er bereit, das Versteck des kleinen Ruderbootes zu verraten. Cindiel war noch in der Nacht zu der Dreimastbark hinübergerudert. Mogda hatte darauf bestanden, dass sie Gnunt und einen anderen Oger mitnahm, um Londor den Ernst der Lage klarzumachen.
»Was ist hier los?«, fragte Mogda, ohne auf das freundliche Angebot einzugehen. »Warum helfen diese Menschen den Ogern?«
Ingert schien verwirrt, was nicht gerade untypisch für den schlanken Mann war. Noch einmal reckte er dem Oger das Brot und einen Krug entgegen. »Sie sind nur freundlich und wollen helfen«, antwortete er.
»Warum, habe ich gefragt?«, wiederholte Mogda.
»Viele der Menschen hier erinnern sich noch daran, wie der Herr Oger Rator einigen von ihnen geholfen hat, als die dunklen Elfen die Stadt besetzt hielten.«
Mogda war froh, dass Rator nicht hier war, er hätte über die haarsträubende Anrede nicht hinweggesehen.
»Schon seit Jahren sind die großen Taten der Oger in aller Munde«, fuhr Ingert fort. »Selbst Kapitän Londor nutzt jede Gelegenheit, um von den gemeinsamen Abenteuern zu berichten. Die Herren Oger sind hier so etwas wie Helden.«
»So etwas wie die Herren Helden«, unterbrach ihn Mogda, in der Hoffnung, Ingert würde seine sprachliche Akrobatik langsam unterlassen.
»Natürlich, Herren Helden«, verbesserte sich Ingert, während Mogda die Augen verdrehte. »Ihr müsst wissen, viele der Seeleute und ihre Familien leben nicht gerade gottesfürchtig im Sinne des Klerus. Wir beten zwar auch zu Prios, doch tun wir dies, ohne in einen Tempel zu gehen und den Worten eines Priesters zu lauschen. Das Meer ist kein Platz für einen Verkünder der Worte, und somit haben wir uns mit Prios arrangiert. Wir beten in unseren Kajüten, auf Deck oder im Ausguck. Egal wo wir sind, Prios ist immer bei uns. Wir brauchen keinen Priester, um uns daran zu erinnern, unter wessen Schutz wir stehen. Die Worte, die der Hohepriester aus Lorast dort auf dem Marktplatz verkündet, sind uns fremd. Wir hören auf unsere innere Stimme, und die sagt uns, dass die Herren Oger im Recht sind.«
»Wie schön wäre es, daran glauben zu können«, hörte Mogda eine Stimme hinter sich.
Hagrim stand hinter ihnen und hatte Ingerts Worten gelauscht. Der Geschichtenerzähler kaute genüsslich auf einem Kanten Brot herum. Er hatte sich zusammen mit Cindiel neu eingekleidet. Der lange, dunkelblaue Mantel und die hohen ledernen Schaftstiefel, die er nun trug, verliehen ihm ein ganz neues Aussehen. Zum ersten Mal erkannte Mogda in ihm nicht den Trunkenbold und Bettler aus Osberg, sondern jemanden, der er vielleicht früher einmal gewesen war. Am Gürtel seiner Hose trug der Alte ein Rapier. Die gebogene Klinge steckte in einer Scheide aus gehärtetem Leder. Der Griff der Waffe war aus Silber und prunkvoll mit Edelsteinen verziert.
»Cindiel wartet auf dich am nördlichen Pier«, sagte Hagrim. »Ich bringe dich zu ihr.«
Hagrim ging voraus, und Mogda folgte ihm stur, ohne Ingert weiter zu beachten. Überall hatten sich Grüppchen von vier oder fünf Ogern gebildet, die um wärmende Feuer herumsaßen. Die meisten Menschen hielten Abstand zu den hünenhaften Kriegern, doch einige schienen ihre Nähe regelrecht zu suchen.
Kinder standen mit großen leuchtenden Augen hinter ihren Vätern und lauschten den Gesprächen zwischen Ogern und Menschen, auch wenn Mogda sich nicht vorstellen konnte, dass sie sich viel zu erzählen hatten. Frauen eilten herbei und brachten
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