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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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kommentierte Cindiel und erhob sich.
    Mit einem aufreizenden Gang, der selbst im Loraster Hurenviertel für tumultartige Aufstände gesorgt hätte, stolzierte sie zum Fenster. »Ich lasse nur ein wenig Frischluft herein, es ist stickig hier drin«, sagte sie und klappte das Fenster auf.
    Wo man sonst die hervorragende Aussicht auf die Hafenanlage von Sandleg bewundern konnte, hing ein schwarzer struppiger Schopf direkt vor dem Fenster. Irgendjemand hatte eine der Wachen von der Reling kopfüber vor das Fenster gehängt. Der Mann hatte sich seinem Schicksal ergeben und baumelte hilflos hin und her, aber er war am Leben, wie das verdrießliche Grinsen zeigte, als er seinen Kopf drehte.
    »Bei den Göttern«, rief Cindiel, »Eure Bordwache ist ja wirklich unermüdlich. Wie gedungene Meuchler stellen sie einem nach. Wie viele dieser Wachen habt ihr an Deck?«
    »Zwei«, verriet Londor mit erstickter Stimme. »Mordigwel, mein erster Steuermann, und Keuchel, der Schiffskoch.«
    Cindiel griff nach der Schulter des Mannes, der vor dem Fenster hing. »Und welcher der beiden Prachtburschen ist dies?«, fragte sie und drehte das Gesicht des Mannes dem Kapitän zu.
    »Keuchel«, gestand Londor.
    »Zwei Mann habt Ihr also, um Euer ganzes Hab und Gut zu bewachen. Was denkt Ihr denn, wie viele Oger man in ein Beiboot, wie Ihr es Ingert gegeben habt, um Proviant zu holen, bekommt?«
    »Zwei?«
    »Ihr seid ein gescheiter Mann, Kapitän Londor. Und jetzt stellt Euch vor, wo diese beiden gerade sind und was passiert, wenn ich ihnen erklären muss, dass sie wieder in diese kleine Nussschale steigen müssen, sich den Gefahren des rauen Hafenbeckens und dem Unmut ihres Anführers stellen müssen, nur weil Ihr nicht gewillt seid, sie zurück an Land zu bringen.«
    »Sagt einfach, was Ihr wollt«, erwiderte Londor in seinem unfreundlichsten Ton.
    »Ihr kommt schnell zur Sache, das ist gut. Ich möchte, dass Ihr morgen Mittag mit der Sturmwind II an der Pier anlegt und Eure Passagiere entgegennehmt.«
    »Was für Passagiere?«, fragte Londor mürrisch.
    »Muss ich Euch das wirklich sagen?«
    »Lass dir nicht alles aus der Nase ziehen, Hexe, und sprich nicht mit mir, als ob ich ein Orakel befragen würde. Sag, wer es ist, wie viele und wohin die Reise gehen soll.« Londor schäumte vor Wut. Die Ausweglosigkeit seiner Situation ließ ihn nicht wie die meisten Menschen in stumme Verbitterung verfallen, einen Umstand, den Cindiel den rauen Sitten auf See zuschrieb.
    »Deine Fracht sind die Oger. Ihre Anzahl kann ich nur schätzen, aber es sind wenigstens fünf Dutzend, und ihr Reiseziel ist die Insel Argaht.«
    Kapitän Londor trat einen Schritt zurück und lehnte sich gelassen gegen seinen Schreibtisch. Dann legte er die Arme in den Schoß und schlug die Beine übereinander. Mit starrer Miene sah er Cindiel an. Sein Blick war ernst, dann verzog sich sein Mund zu einem schmalen Lächeln, das weiter anwuchs zu einem breiten Lachen.
    »Haha«, er schlug sich klatschend auf den Oberschenkel. »Dass deine Freunde etwas dumm sind, kann ein Blinder in ihren Gesichtern erkennen, doch dass sie vollkommen verrückt sind, ist selbst mir neu. Niemand fährt ins Nordmeer. Schau aus dem Fenster, und du siehst, warum. Es hat angefangen zu schneien, das bedeutet, der Winter naht.«
    Londor sah Cindiel an, als ob er ihr ein Geheimnis verraten hatte und jetzt ihre Reaktion abwarten wollte. Doch Cindiel zuckte nur mit den Achseln.
    »Und?«
    »Und?«, wiederholte Londor entsetzt. »Ihr Landratten seid wirklich erstaunlich. Ihr glaubt, das Wasser sei eine breite Straße, die euch überall hinbringt. Das ist ein Irrglaube! Wasser lebt, und alles, was es will, ist dich ertränken. Wasser lässt dich nur so lange auf sich schwimmen, wie du keine Schwäche zeigst. Ich werde dir sagen, was passiert«, erklärte er und zeigte mit dem Finger auf Cindiel. »Mit jeder Meile, die wir Richtung Norden segeln, fällt die Temperatur auf See. Nach wenigen Tagen schon könnten wir die ersten Eisschollen sehen. Zwei Tage später ist es dann schon so viel Eis, das auf dem Wasser schwimmt, wie Blätter auf einem Tümpel im Herbst. In der Nacht wird der Regen in den Wanten und an Deck gefrieren und sich wie steinerne Spinnenweben über alles legen. Wenig später werden dann die ersten Eisschollen die spröde gewordene Bordwand durchschlagen, der Rumpf wird sich in wenigen Minuten mit Wasser füllen, und dann wird die See uns in unser nasses Grab ziehen. Das alles wird passieren,

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