Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
einem auf den Gaul gesprungen und hätte ihn meinen Stahl kosten lassen. Mit einem wärest du ja wohl allein fertig geworden«, stichelte Hagrim. »Wenn nicht, hätte dir Cindiel sicherlich geholfen. Ihre Pferde wären jetzt unser, und wir müssten nicht länger zu Fuß durch dieses ewige Grünzeug laufen. Hier muss man ja verrückt werden. Egal, wo man hinsieht, überall grün. Ich glaube, wenn mir Meister Ostmir noch einmal einen Salat auftischt, gehe ich ihm an die Gurgel.«
»Es ist die Heimat der Elfen«, erklärte Cindiel ihm. »Für sie gibt es nicht Schöneres als die Natur. Genau wie die Zwerge die Berge lieben, lieben die Elfen die Bäume.«
»Das ist es«, lachte Hagrim auf. »Genau das kann man auch in ihren Gesichtern wiedererkennen. Zwerge haben Nasen, die aussehen wie Wackersteine, und sie sind stur wie Granit. Die Elfenohren jedoch sehen aus wie junge Triebe, und ihre Körper sind biegsam wie grüne Zweige. Jedes Volk sieht mit der Zeit aus wie das Land, in dem es lebt.«
»Aha«, erwiderte Cindiel mit geheucheltem Interesse, »und was ist mit Menschen und Ogern?«
Hagrim stockte, doch er wäre kein Geschichtenerzähler, wenn ihm nicht eine passende Antwort schon auf der Zunge läge. »Das liegt doch auf der Hand. Menschen haben gleichmäßig schöne Züge. Alles passt zueinander, wie in einer Stadt, wo Straßen und Gebäude voneinander getrennt sind, aber alles zusammen wird von der Stadtmauer sauber eingerahmt. So wie jeder Mensch, so hat auch jede Stadt ihr Gesicht.«
»Und Oger?«, hakte Cindiel nach.
»Sie leben in einem blubbernden, stinkenden Sumpf - muss ich wirklich mehr erzählen?«
Cindiel lachte. »Lass es lieber, sonst wird Tastmar dir die Ohren langziehen und die Nase platt hauen. Mit so einem Gesicht wüsste ich gar nicht, wo du wohnen solltest. Vielleicht auf einem Baum in den Bergen.«
Tastmar unterbrach ihre Diskussion und packte Cindiel und Hagrim am Arm.
»Das mit den Ogergesichtern war nicht so gemeint«, erklärte Hagrim sofort. »So lange lebt ihr ja noch gar nicht im Sumpf. Vielleicht könntet ihr einige Entwässerungsgräben ziehen und - duftende Rosen pflanzen?«
Cindiel erkannte sofort, dass der Oger nicht auf Hagrims Beleidigungen anspielte. Das helle Klirren von Stahl auf Stahl durchbrach die Stille des Waldes.
»Das muss Finnegan sein«, rief sie. »Wir müssen ihm zu Hilfe kommen.«
Tastmar zeigte in Richtung Nordwesten, am Bachlauf entlang, dann lief er los. Cindiel konnte kaum Schritt halten. Sie befürchtete, Tastmar aus den Augen zu verlieren. Immer heller und klarer wurden die Geräusche der sich kreuzenden Klingen. Pferde wieherten, Männer brüllten sich an, und der Kampfeslärm begleitete alles wie eine Melodie. Hohe Töne, wenn Stahl auf Stahl traf, und dumpfe Paukenschläge, wenn Klingen mit Schildern pariert wurden.
Cindiel hatte ihren eigenen Kampf auszutragen. Sie schlug auf niedrig hängende Zweige, Dornengestrüpp und Nesseln ein. Alles, was sich ihr in den Weg stellte, hackte sie mit dem blanken Stahl im Vorbeilaufen nieder. Sie schlug sich durch ein halbhohes Dickicht von jungen Trieben und blieb stehen. Direkt vor ihr führte eine morsche Brücke über den Bachlauf. Aus halben Stämmen und breiten Rindenstücken gebaut, wirkte sie wie ein Teil des Waldes. Grobe Hanfstricke verbanden die einzelnen Stämme miteinander. Die ganze Konstruktion sah eher wie gewachsen aus als von Menschenhand erbaut. Nichtsdestotrotz schien sie zu halten, denn Tastmar stand mitten auf ihr, den Blick auf die dahinterliegende Lichtung mit dem kleinen Weiher und dem alten Baum gerichtet.
Cindiel stockte der Atem. Finnegan und drei seiner Männer erwehrten sich den Angriffen eines halben Dutzends Berittener. Sie kämpften genau dort, wo sich vor zwei Jahren die Oger und Eliah das Gefecht um die Götter geliefert hatten.
»Hilf ihnen«, schrie Cindiel Tastmar an. »Sie werden Finnegan töten, wenn du ihnen nicht hilfst.«
Tastmar rührte sich keinen Zoll breit. Er stand wie angewurzelt und bestaunte den Kampf.
Cindiel blickte sich um. Von Hagrim fehlte jede Spur. Wahrscheinlich hatten sie ihn im Dickicht des Waldes abgehängt, oder er war in das Bachbett gestürzt und versuchte vergeblich, wieder herauszukommen. Sie rannte los, auf die Brücke zu.
»Was ist los mit dir?«, schrie sie den Oger an, während sie hinter ihm über die Brücke balancierte.
»Komm schon«, flehte sie und riss an seinem Gürtel.
Plötzlich packte Tastmar zu und umfasste ihr Handgelenk.
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