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Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)

Titel: Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Russbült
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ihr Angst eingeflößt, obwohl sie in einem Käfig gesessen hatten und ein halbes Heer von Ogern um sie herum lagerte. Eine Schamanin war eine der wenigen aus jedem Volk, die über den Willen der Götter Bescheid wusste. Wie alle Wissenden auch gab diese hier ihr Wissen nur stückweise preis.
    Cindiel starrte wieder auf die Szene um Finnegan. Die Schwertspitze war nur noch zwei Handbreit von seinem Herzen entfernt, und die Kugeln des Morgensterns kreisten über seinem Kopf.
    »Kannst du ihn nicht retten?«, flehte Cindiel erneut. »Die Götter können nicht wollen, dass ich sein Leben für ihres gebe.«
    »Du allein kannst ihn retten«, erwiderte Tusfell. »Gib den Söldnern des Klerus das, was sie begehren.«
    »Ich kann ihnen den Funken nicht überlassen.«
    »Es ist nicht der Stein, den sie wollen, es ist das, was er darstellt. Kein Mensch ist in der Lage zu erfassen, welche Macht in den Funken steckt, und kein Wesen auf dieser Welt ist imstande, sie zu nutzen. Alles, was die Kleriker der Menschen für sich beanspruchen, ist die Macht über andere Menschen. Gib ihnen nur den Schein von Macht, und sie werden sich darauf stürzen und dieses Blendwerk nutzen, wie sie es immer getan haben. Märchen werden zur Wahrheit, und die Wahrheit wird zum Märchen. Ich bezweifle, dass einer von ihnen den Unterschied überhaupt erkennen würde - und selbst wenn, würden sie es abstreiten.«
    »Wie soll ich ihnen nur den Schein von Macht geben?«, fragte Cindiel verwirrt.
    Cindiel hörte, wie die Trollin ins knietiefe Wasser sprang. Mit ihren langen knochigen Fingern durchfurchte sie das Wasser, grub Steine aus dem Schlamm und warf sie wieder zurück in den Bach. Cindiel ertappte sich dabei, wie ihr Blick abschweifte und zu Finnegan hinüberglitt. Schon wieder war die Klinge zwei Finger breit dichter an sein Herz gerückt. Seinem Kameraden stach die Spitze des Schwertes seines Gegners bereits durch den Oberschenkel. Die Augen der Stadtwache waren geschlossen, und sein Mund war schmerzverzerrt.
    »Hier, nimm den«, krächzte die Trollin und gewann Cindiels Aufmerksamkeit zurück. »Die Zauber einer Hexe sollten reichen, um aus einem Flintstein das Artefakt eines Gottes zu machen, jedenfalls für diejenigen, die daran glauben wollen. Ein Lichtzauber, eine magische Aura, etwas unergründliche Wärme und ein mystisches Glimmen aus seinem Inneren heraus sind alles, was die Menschen brauchen, um Demut zu zeigen.«
    Cindiel sprach die Zauber wie in Trance, genau in der Reihenfolge, in der Tusfell sie aufgegeben hatte. Zwischen jedem einzelnen Zauberspruch warf sie einen kurzen Blick auf Finnegan. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit.
    Als sie den Stein in Händen hielt, vermochte sie kaum selbst mehr zu sagen, ob er echt war oder nicht. Pulsierendes Licht erstrahlte aus seinem Inneren, und er verbreitete eine wohltuende Wärme.
    »Was soll ich damit tun?«, fragte sie, den Blick nach unten gerichtet. »Sie würden uns trotzdem töten, auch wenn sie den Stein bereits haben. Auf unsere Köpfe ist eine Belohnung ausgesetzt.«
    »Du enttäuschst mich, Kindchen«, flüsterte Tusfell. Ihre Stimme klang jetzt entspannter. »Du weißt, was zu tun ist, doch du traust dich nicht, zu handeln und ihn zu fragen. Du willst meine Zustimmung. Aber die werde ich dir nicht geben. Frag ihn selber, er ist stumm, nicht taub. Vergiss aber nicht: Das Schicksal kommt immer zu seinem Recht.«
    Cindiel hob den Kopf und sah in das Gesicht von Tastmar. Die Augen des Ogers waren hohl und leer, aber auf seinem Gesicht glaubte sie ein Lächeln zu erkennen.
    »Rette ihn, er ist alles, was mir geblieben ist, und ich liebe ihn.«
    Tastmar nahm ihr den leuchtenden Stein aus der Hand und umschloss ihn mit seiner Faust. Mit zwei Fingern strich er ihr über das kurz geschorene Haar, dann stürmte er los.
    Sobald er die Brücke verlassen hatte, war auch der Zauber der Trollschamanin vorbei. Die Zeit floss wieder so schnell wie zuvor, und Cindiel hatte den Eindruck, sie würde gar versuchen, etwas von dem Stillstand wieder aufzuholen. Tastmar stürmte auf das Schlachtfeld. Aus seiner Kehle löste sich ein fauchender Schrei. Für einen winzigen Augenblick bockte das Pferd des Morgenstern schwingenden Söldners und der, dessen Schwertspitze auf Finnegans Brust zielte, war für einen kurzen Moment abgelenkt. Die stacheligen Kugeln sausten über Finnegans Kopf hinweg. Der zuckte zusammen und drehte sich zur Seite weg. Die Spitze des Schwertes streifte seine Schulter und schnitt über

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