Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
werde ich auch tun. Sollte meine Aufgabe damit beendet sein, werde ich sicherlich nicht nach einem Weg suchen, weiterhin den Sklaven des Schicksals zu spielen.«
»Du bist als Sklave geboren, und du wirst auch als solcher sterben«, erwiderte Suul. »Du denkst, du bist auserwählt? Du erkennst das letzte Artefakt ja nicht einmal, wenn du genau davor stehst.«
Mit ihren dicken grauen Fingern riss sie sich die Drachenschuppe vom Bauch und warf sie vor sich auf den Boden.
»Nimm sie, wenn du kannst«, keifte sie. Ich werde dich nicht daran hindern. Doch vergiss eines nicht, ob du mit oder ohne sie aus Bleichenstadt gehst, mein Volk und meine Kinder werden dich finden und töten. Dann gehören die Artefakte mir, und ich werde es sein, die bestimmt, wann der Zeitpunkt gekommen ist, Tabal zu wecken. Ich werde es sein, der die Götter zu Dank verpflichtet sind. Die Welt, in die ich die Götter zurückrufe, wird nach meinen Vorstellungen gestaltet sein.«
»Wenn du nicht so hässlich und fett wärest und Illistantheè nicht schon tot, würdet ihr wirklich ein gutes Paar abgeben«, schnaubte Mogda. »Jetzt gib mir den Schild, und ich lasse dich leben.«
»Das ist zu großzügig von dir«, sagte sie und zeigte auf die Drachenschuppe. »Komm, hol ihn dir.«
Mogda wartete auf ein Zeichen, ein Gefühl oder irgendetwas, was ihm sagte, er tat das Richtige. Doch selbst das Runenschwert, das ihm mit Träumen und Vorahnungen stets zur Seite gestanden hatte, schwieg. Mogda ging auf Suul zu und streckte die Hand dem am Boden liegenden Schild entgegen. Langsam und wohlüberlegt schritt er auf die Ogerfrau zu. Keinen Moment ließ er sie oder den Schild aus den Augen. Die Spitze seines Schwertes zeigte auf Suuls qualligen Leib, während seine andere Hand durch die Luft tastete, nach dem letzten Artefakt. Eine innere Kälte durchfuhr ihn. Mit jedem Zoll, den er sich näherte, wurde es kälter - nein, er kühlte aus. Nur drei Schritte entfernt lag der Schild, und seine Finger begannen zu schmerzen. Die Luft in seinen Lungen begann zu frieren. Er streckte den Arm weiter aus, und die Kälte biss zu, wie ein hungriger Wolf. Mogda wollte den Schild, er wollte ihn mehr als alles andere. Jetzt und hier würde er es zu Ende bringen, egal, welche widerwärtigen Zauber sie auch einsetzen mochte. Zwei Schritte nur noch, und er hatte es geschafft. Suul strahlte ihn mit einem breiten siegessicheren Grinsen an. Ihre fahlen Lippen bebten regelrecht vor Verzückung, während die Haut auf Mogdas Arm rissig wurde. Einen weiteren Schritt machte er auf sie zu, und es fühlte sich an, als ob er sich selbst auf einen gigantischen Eissplitter spießte. Seine Beine wurden taub und gaben nach. Er geriet ins Wanken. Die Welt um ihn herum drehte sich und begann in einem eisigen Hauch zu erfrieren. Mogda taumelte rückwärts, fort von Suul und dem Schild. Er fühlte sich erfasst von einer Lawine, nur statt Schnee schlug ihm eisige Kälte entgegen. Er stolperte weiter rückwärts und fiel. Die kleine, schwielige Zwergenhand war zum Greifen nah. Der taube Druck unter seinem Fuß konnte nur eine Stufe sein. Suuls Lachen begleitete ihn, als seine Augen von Trumbadin, zur Decke, darüber hinaus und in den steilen dunklen Schacht der Treppe wanderten. Er stürzte wie ein toter Baum im Winter, dessen Wurzeln keinen Halt mehr fanden. Und Suul lachte.
39
Böse Erinnerungen
Laut scheppernd rollte der Blechnapf über das holprige Pflaster des Kerkerbodens, stieß gegen die Zellentür und drehte sich mehrmals im Kreis, bis er mit einem Tusch liegen blieb. Gnunt wog die Kette, an deren Ende der Dorn hing, den er aus der Wand gerissen hatte, zielte und warf. Er verfehlte den Napf nur um wenige Fingerbreit und zog die Kette wieder zu sich heran, um es erneut zu versuchen. Diesmal reihte er die Kettenglieder fein säuberlich in seiner Hand auf, so wie er es bei den Tauen auf dem Schiff gesehen hatte. Zuletzt positionierte er den Dorn so, dass das schwere Ende nach vorn zeigte. Er zielte, holte Schwung und ließ die Kette aus den Fingern gleiten. Pfeilgerade flog der Dorn auf den Napf zu, zog die Kette wie einen Kometenschweif hinter sich her und landete im Inneren der Schüssel. Gnunt lächelte zufrieden. Vorsichtig holte er die Kette wieder ein und zog dabei den Napf zu sich heran.
Mit jedem Tag, den Gnunt im Kerker saß, hatte er das Gefühl, die Zelle werde kleiner, die Wände bewegten sich auf ihn zu und irgendwann würde er zwischen ihnen zerquetscht werden. Obwohl er
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