Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
nun war Llinus tot, warum auch immer. Hundert Menschen und mehr konnten bestätigen, dass der Priester mit eigener Kraft vom Marktplatz gehumpelt war. Das Problem lag in den vielen tausend Bürgern begründet, die nur von Llinus' Tod gehört hatten und denen im Tempel gepredigt wurde, dass Cindiel ihn umgebracht hatte.
Hagrim kannte die Wirkung von Gerüchten nur zu genau. Wenn man sie oft genug wiederholte und lebendig beschrieb, glaubte nach einiger Zeit jeder, selbst dabei gewesen zu sein. Gute Lügen waren besser als eine schlechte Wahrheit, und ein toter Priester machte jede Erfindung schnell zur gefühlten Wirklichkeit.
»Du hast selbst gesagt, außer ein paar leichten Verbrennungen an den Füßen sei er ungeschoren davongekommen«, forderte Cindiel den Geschichtenerzähler erneut zu einer Stellungnahme auf.
»Ich weiß selbst, was ich gesagt habe«, fuhr Hagrim sie an. »Jetzt sage ich dir eben, er ist tot. Es heißt, er hätte Wundbrand bekommen und sei drei Tage später daran verstorben. Sie haben alles versucht, um ihm zu helfen, aber seine Verletzungen waren zu schwer.«
»Man bekommt doch keinen Wundbrand von ein paar Brandblasen. Und selbst wenn, bei uns zuhause liegt genügend Salbe, um einen ganzen verdammten Wundwaldbrand zu kurieren.«
Hagrim setzte eine finstere Miene auf. »Wenn du einmal darüber nachdenken würdest, anstatt immer deine Gefühle sprechen zu lassen, würde dir vielleicht einfallen, warum auch du an seinem Tod Schuld bist.«
Cindiel konnte nicht fassen, was sie da aus Hagrims Mund hörte. Er konnte ihr unmöglich vorwerfen, Llinus umgebracht zu haben. Sie hatte den Priester verletzt, ja, aber umgebracht? Niemals.
Cindiel sah in Hagrims Gesicht. Er meinte, was er sagte, und sie fühlte intuitiv, was er dachte. Sie hatte die Priester öffentlich angegriffen und verunglimpft. Es kam nicht darauf an, wer angefangen hatte. Sie hatte es jedenfalls fortgeführt. Llinus' Tod war nur die Reaktion darauf. Vielleicht hatte er tatsächlich Wundbrand bekommen, und die anderen Priester hatten es lediglich unterlassen, ihn zu heilen. Er war zum Opfer geworden. Llinus hatte sterben müssen, sonst hätte der Orden sein Gesicht verloren und wäre zum Gespött geworden. Llinus' Tod hatte den Priestern Recht gegeben. Die Wahrheit war nicht mehr wichtig. Sie, die Hexe, war jetzt im Unrecht. Sie verkörperte den Feind.
»Ich muss Osberg verlassen«, verkündete Cindiel entschlossen.
»Du würdest eher unbemerkt durch die Halle der Götter laufen können, als in die Nähe des Stadttores zu kommen. Der Hohepriester hat eine Belohnung auf dich ausgesetzt - sechshundert Goldstücke. Dafür würden die meisten nicht einmal davor zurückschrecken, ihren Landesfürsten zu ermorden. Ich habe sogar schon von Plänen gehört, nach denen Männer ihre eigenen Frauen statt dich ausliefern wollten, nur um an die Belohnung zu kommen.« Hagrim machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich kenne einige von den Frauen, ich würde sie schon für die Hälfte weggeben.«
Cindiel fand diese Offenbarung nicht sonderlich erheiternd. »Ich könnte durch die Kanalisation flüchten«, schlug sie vor.
»Vergiss es, Prinzessin. Du hast diese Stadt schon zwei Mal durch die stinkenden Tunnel verlassen. Ein drittes Mal werden sie es dir nicht zugestehen. Ich vermute, dort unten gibt es zurzeit mehr Bürger, die die Belohnung einstreichen wollen, als Stadtwachen in Lorast.«
Hagrim hatte wie immer Recht. Die Geschichten über ihre häufig übereilten Fluchten aus Osberg waren stadtbekannt.
»Was ist mit Finnegan?«, warf Hagrim ein.
»Lass ihn da heraus«, krächzte Cindiel.
»Er ist immerhin bei den Stadtwachen«, gab der Geschichtenerzähler zu bedenken. »Vielleicht kann er helfen.«
»Nein habe ich gesagt. Sie würden ihn sofort verdächtigen. Ich will nicht, dass er Schwierigkeiten bekommt. Für Tarbur hast du damals auch einen Weg aus der Stadt gefunden. Und der war immerhin ein Oger, da sollte es doch nicht schwierig sein, das Gleiche für mich zu organisieren.«
»Tarbur ist tot, und um mit einer Gauklertruppe zu reisen, bist du nicht hässlich genug, du könntest höchstens als ...« Hagrim stockte und legte ein breites, zufriedenes Grinsen auf. Er sprang vom Stuhl hoch und begann, in der Schublade einer alten Kommode herumzukramen. »Das wird reichen.« Stolz präsentierte er Cindiel ein altes, geriffeltes Küchenmesser.
»Was hast du vor?«, fragte Cindiel erschrocken.
»Ich kann aus dir vielleicht keinen Oger
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