Blutiger Winter: Ein Oger-Roman (German Edition)
hielt, weil er befürchtete, der Bauer würde ihn verraten. Gierig hatte er mit seinem neuen Talent die Bücher verschlungen und Usil Löcher in den Bauch gefragt. Was damals noch an einen Zaubererturm erinnerte, war jetzt zu einer Ogerhöhle mutiert. Doch Gnunt war stolz auf sein neues Heim.
Nach der Begehung standen sie vor dem Gemäuer und blickten in eine schlammige Kuhle, die Gnunt ausgehoben hatte und nach eigenen Angaben regelmäßig bewässerte.
»Gnunt, hast du mich verstanden?«, fragte Mogda. »Fremde Menschenkrieger werden kommen und nach dem schwarzen Kristall suchen.«
»Kriftall in Ficherheit. Er befützen Kriftall.«
»Was meinst du mit ›er‹? Hast du den Stein jemand anderem gegeben?«, wollte Mogda entsetzt wissen. »Wer ist es, und wo ist er damit hin?«
Gnunt holte erneut die lange Eisenstange und stocherte nun damit in der Schlammkuhle herum. Nach einiger Zeit brachte er damit ein Reh zum Vorschein. Das Tier lag augenscheinlich schon seit einigen Wochen in dem Matsch.
»Er mag, wenn lange tot«, erklärte Gnunt.
»Du meinst, du hast jemandem den Stein gegeben, der das hier isst?«
Mogda drehte sich der Magen um. Er konnte und wollte niemanden kennen lernen, der sich von diesem Klumpen Aas ernährte. Eines war aber sicherlich klar: Die Barbaren würden sich davon nicht abschrecken lassen. Sie würden erst Gnunt umbringen und dann dieses Ding, das allem Anschein nach an Geschmacklosigkeit und einem schlechten Gebiss litt.
»Wann kommt er?«, fragte Mogda.
»Morgen bei Fonnenuntergang.«
10
Süßlicher Duft
»Du kannst doch reiten, oder? Es scheint mir, als ob dieser alte Klepper den Weg bestimmt und nicht du«, bemerkte Hagrim, der hinter Cindiel auf dem gemeinsamen Pferd saß, mit einem verbitterten Unterton. »Vor zwei Tagen hast du gesagt, wir würden einen Freund besuchen. Zu diesem Zeitpunkt bin ich davon ausgegangen, du wüsstest, wohin die Reise geht. Wenn ich jetzt den zurückgelegten Weg einmal Revue passieren lasse, komme ich zu dem Schluss, dass du entweder keine Ahnung hast, wohin du willst, oder dein so genannter Freund wechselt alle vier Stunden die Unterkunft.«
Cindiel hatte keine Lust und keine Zeit, die Fragen des Geschichtenerzählers zu beantworten. Sie suchte einen bestimmten Ort. Die junge Frau stellte sich in den Steigbügeln des Pferdes auf und ließ ihren Blick über den Fuß der nördlichen Berge schweifen. Sie und Hagrim folgten dem Gebirge jetzt schon seit ewigen Meilen, von der Höhe der Zwergenesse an bis hierhin, kurz vor den Rand des Tannenverlieses.
»Dort ist es«, sagte Cindiel erleichtert und deutete auf eine alte knöchrige Eiche am Berghang.
»Dort?«, wiederholte Hagrim enttäuscht. Er neigte sich auf dem Pferderücken weit zur Seite, um an Cindiel vorbeischauen zu können. »Du hast Freunde, die auf Bäumen wohnen?«
Auch diese Frage ließ Cindiel unbeantwortet. Hagrim verstand nicht, worum es ihr ging, und es würde schwer werden, es ihm zu erklären. Hagrim war jemand, der Geschichten erzählte, sie aber nicht selbst erlebte. Cindiel dagegen schien oft unfreiwillig eine der Hauptpersonen zu sein, und falls sie es noch nicht war, würde sie bald zu einer werden. Denn sie hatte vor, die Menschen zu verraten, wenn sich herausstellen sollte, dass diese im Unrecht waren mit ihren Behauptungen hinsichtlich dem Grund für das Verschwinden der Götter.
Vielleicht war es auch kein Verrat, sondern nur eine Geste ihres »schlechten Willens«. Wenn sie den Ogern erzählte, dass ihr Volk vorhatte, gegen die Kreaturen Tabals in den Krieg zu ziehen, würde es ohnehin zur Schlacht kommen. Das Einzige, was sie damit verändern würde, wäre der Umstand, wer wen zuerst angriff, und die Oger würden keine Zeit verlieren, den Hüttenbauern zu zeigen, dass sie bereit waren zum Kampf. Jetzt kam es darauf an, für welche Seite sie sich entschied. Sie brauchte Antworten, um nicht eine Verräterin am eigenen Volk zu werden. Und dabei ging es ihr nicht darum, sich später jemandem erklären zu müssen oder irgendwen von ihrem Vorhaben zu überzeugen. Sie wollte nur Gewissheit haben, ob das, was sie vorhatte, das Richtige war. Sie suchte nach ihrer eigenen Wahrheit.
Cindiel riss ihr Pferd herum und trieb es an. Hagrim hatte alle Mühe, sich hinter ihr auf dem Pferderücken zu halten, ohne der jungen Hexe dabei zu nahe zu treten. Am Fuß der Berge hielten sie an und saßen ab. Die Nüstern des Pferdes blähten sich auf, und das Tier stampfte nervös mit den
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