Blutiges Echo (German Edition)
warte!«
»Was denn?«
»Anscheinend hast du dich so langsam im Griff.«
»Glaubst du?«
»Allerdings.«
Harry steckte das Handy weg, lockerte das Seil und ließ es am Baum herabhängen. Dann krabbelte er über die Motorhaube und durch die fehlende Scheibe auf den schiefen Vordersitz, wobei er sich nur ein einziges Mal an den scharfen Kanten schnitt. Die Scherbe schlitzte ihm die Hose auf und erwischte ihn am Knie.
Während er weiterkletterte, blieb das Auto stabil an Ort und Stelle. Nicht das kleinste Wackeln oder Knacken. Jahrelang gewucherte Ranken hielten es fest an seinem Platz. Er nahm die Taschenlampe aus der Jackentasche und leuchtete umher. Weder auf dem Vorder- noch auf dem Rücksitz fand er auch nur die Spur einer Leiche oder Knochen oder sonst etwas. Den Kofferraum allerdings, den würde er nicht aufbekommen.
Als er gerade über den Vordersitz krabbelte, rutschte er mit dem Fuß ab, sodass er mit einem dumpfen Schlag auf die Rückbank plumpste, auf den Rücken rollte, die Hand ausstreckte und die Rückenlehne der Vordersitze packte, um nicht in den Fußraum zu fallen …
… und plötzlich war da eine Frau in ihm drin, auf der ein Mann hockte. Der ihr die Schultern herunterdrückte, sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, man sah seine Zähne und Zunge, und Harry hatte das Gefühl, dass eine ganz primitive Angst jede einzelne seiner Körperzellen erfasst hatte.
Sie wurde gerade vergewaltigt. Und ihr Vergewaltiger war derselbe, den Harry schon einmal gesehen hatte. Der Mann mit dem Hut. Dieses Mal hatte er keinen Hut auf, aber es war derselbe Mann. Er hatte die Hosen heruntergelassen und legte sich ins Zeug.
Harry konnte das Entsetzen der Frau spüren, und es erfüllte ihn mit Übelkeit und Ekel. Er krabbelte auf den Vordersitz und landete unsanft. Dort fand er eine Männerleiche, mit dem Gesicht nach oben, die Augen offen. Ein schwarzer Mann. Noch jung. Tot. Harrys Knie bohrte sich genau durch ihn hindurch. Auf seiner Stirn prangte ein kleines, sauberes Einschussloch. Hinter seinem Kopf hatte eine Blutlache den Autositz dunkel gefärbt.
Die Bilder begannen zu verblassen, wurden zu Umrissen.
Harry schlug mit der Hand auf den Vordersitz …
… und riss den Kopf in Richtung Fahrerfenster herum. Das Auto stand zu ebener Erde, oben auf dem Bumshügel, umgeben von Bäumen und im Mondlicht, und er sah gerade noch so das Aufleuchten eines Mündungsfeuers.
Während das Bild verblich, schlug Harry wieder zweimal kräftig auf den Sitz …
… und reiste rückwärts durch die Zeit, der Schwarze richtete sich auf, das Mündungsfeuer verschwand wieder in der Pistole, und dann stockte das Bild, lief wieder vorwärts, und dasselbe spulte sich noch einmal ab, der Schwarze sackte auf seinem Sitz zusammen.
In dem Lichtblitz erhaschte Harry einen Blick auf das Gesicht des Schützen. Es war ein dicker Mann mit ebenmäßigen Zügen. Er kam ihm bekannt vor, aber Harry konnte ihn nicht richtig einordnen. Hinter ihm, nicht weit weg, war im Schein des Mündungsfeuers eine weitere mannsgroße Gestalt zu sehen. Sie wirkte unbeteiligt, abseits von alledem. Wie ein Beobachter.
Alles verblasste …
Klatsch.
… diesmal schaute er über den Sitz nach hinten und versuchte, die Pistole zu ignorieren, die durchs Fenster hereinragte und genau auf sein Gesicht gerichtet war. Stattdessen wandte er den Kopf zum hinteren Fenster und sah eine Frau, die gegen das Auto gestoßen und geohrfeigt wurde. Die Fondtür wurde geöffnet …
Meine Güte, ich bewege mich rückwärts und vorwärts in dieser Geschichte, springe durch die Zeit … das hier war vorher … glaube ich.
Klatsch.
Klatsch.
Klatsch.
… die Frau wurde ins Auto gestoßen, der Mann stieg auf sie drauf. Und da draußen in der Dunkelheit standen der Schütze und der andere Mann, der Schattenmann, der ihnen mit bebenden Schultern den Rücken zuwandte. Er schien zu weinen, oder er musste sich gleich übergeben. Und dann drehte er ganz leicht den Kopf, als würde er über die Schulter schauen, um zu sehen, was ihn dort erwartete. Ein Mondstrahl fiel auf sein Gesicht und erhellte es.
Kaylas Dad.
Verblasste.
Klatsch.
Klatsch.
Grauenhafte Bilder stürmten auf Harry ein und überschnitten sich, und er spürte das Entsetzen der Frau, auch die heiße Woge der Angst, die in dem Mann aufstieg, als die Pistole durch das offene Fenster hereinragte …
… und alles verblasste, und Harry sackte in sich zusammen.
Irgendwo brummte etwas, und Harry konnte das Geräusch
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