Blutiges Echo (German Edition)
Joey.
»Harry?«
»Kayla?«
»Du hast doch den Holzbären gesehen, der bei mir steht?«
»Klar.«
»Er heißt Harry.«
»Komischer Zufall.«
»Nein, gar kein Zufall.«
»Oh.«
»Ich dachte schon, du würdest mich küssen.«
»Wollte ich ja auch. Ehrlich. Ich war mir nur nicht so sicher. Schließlich war ich gerade nicht ganz auf der Höhe, weißt du.«
»Du hättest es versuchen sollen. Gute Nacht, Harry.«
Gegen fünf Uhr morgens wachte Harry auf.
Nur mit Mühe war er eingeschlafen, und dann war er in tiefen, gesunden Schlaf gesunken, und jetzt lag er plötzlich hellwach – putzmunter und unruhig.
Er setzte sich auf und dachte eine Weile nach. Dann zog er sich an, fuhr zu seiner Mutter und setzte sich auf die Veranda. Er hätte gerne mit ihr gesprochen, aber er wollte sie nicht wecken. Sonst hätte sie sofort gewusst, dass irgendwas nicht stimmte, dass ihn etwas beschäftigte. Er überlegte, wie sie reagieren würde, wenn sie erfuhr, dass er eine Kampfkunst lernte und tatsächlich Schläge einstecken und Schmerzen erleiden musste. Sie wollte bestimmt, dass er einen Helm und Knieschoner trug. Oder gleich ganz aufhörte.
Dann fuhr er zu der Stelle, wo früher das Honkytonk gestanden hatte; es war inzwischen dem Erdboden gleich gemacht worden, jetzt wuchsen dort Kiefern. Irgendwo in diesem Gestrüpp verbargen sich die Klänge eines alten Mordes.
Er rollte weiter zum Eingang des Autokinos und ließ seine Scheinwerfer daraufleuchten. Der großen Rahmen für die Leinwand stand immer noch da, genau wie das alte Kassenhäuschen. Die Imbissbude war schwarz und eingestürzt, nachdem sie vor ein paar Jahren Feuer gefangen hatte. Wenn Harry dort draußen irgendwo dagegentrat, würde das vielleicht eine böse Erinnerung aktivieren. Höchstwahrscheinlich waren viele Mädels in solchen alten Autos von ihrem Date vergewaltigt worden. Einige dieser Karren waren immer noch auf den Straßen unterwegs. Oder standen auf Schrottplätzen, wo sie dieses Böse immer noch in sich bargen.
Harry setzte zurück, fuhr ein Stück weiter und suchte nach dem Weg, der hinter dem Grundstück der McGuires entlangführte. Schließlich fand er ihn. Ein Haufen Müll hatte sich an der Kreuzung angesammelt, sogar ein alter Lehnstuhl. Harry fuhr bis zum Ende der Abzweigung und kam an die Stelle, wo er mit Kayla und Tad gestanden hatte. Er schaltete die Scheinwerfer aus und saß einfach nur da. Schließlich schaltete er die Scheinwerfer wieder ein, setzte zurück und überlegte, ob Tad richtig damit lag, dass sie die Leiche weggebracht hatten.
Als er wieder auf der Hauptstraße war, drehte er sich um und schaute in die Richtung, aus der er gerade gekommen war, dann stieß er rückwärts in die kleine Seitenstraße und überlegte.
Vor ihm gabelte sich die Hauptstraße, und er versuchte zu entscheiden, in welche Richtung sie eine Leiche transportiert haben mochten, falls sie das überhaupt getan hatten.
Wenn sie nach links gefahren waren, dann wären sie am Golfplatz entlanggekommen und schließlich auf die kleine Straße gelangt, die an Mr Jones’ Werkstatt vorbeiführte. Das war zwar eine Möglichkeit – dahin zurückzukehren, woher sie gekommen waren –, aber der Weg machte einen sehr offenen und gut beleuchteten Eindruck; er führte zwischen Häusern hindurch und geradewegs zum Highway. Kein Problem, aber wenn man eine Leiche dabeihatte, wollte man vielleicht möglichst unauffällig vorgehen, nur für den Fall. Selbst wenn die Leiche um den Ersatzreifen im Kofferraum geschnürt war.
Und falls sie nach rechts abgebogen waren … tja, er hatte keine Ahnung, wohin die Straße dort führte. Aber in die Richtung wurde es dunkler, es standen mehr Bäume links und rechts, und diese Variante schien naheliegender, wenn man sich davonstehlen wollte.
Er fuhr nach rechts.
Im Scheinwerferlicht glomm die Lehmstraße rot wie Blut und wand sich eine sanfte Steigung empor. Unterwegs gab es mehrere kleine Abzweigungen, und Harry dachte, dass man in jeder davon eine Leiche hätte vergraben können. Aber die praktische Überlegung lautete so: Sie wollten sich die Leiche nicht einfach nur vom Hals schaffen; sie mussten sie spurlos verschwinden lassen. Ohne seine Leiche konnte niemand beweisen, dass Vincent den Tod von Mr Jones miterlebt hatte. Er könnte lange vorher nach Hause gegangen sein. Ihm hätte später irgendetwas zustoßen können. Er hätte abgehauen sein können. Es gab alle möglichen Erklärungen, aber eine Leiche – das war eine
Weitere Kostenlose Bücher