Blutiges Echo (German Edition)
nicht ganz zuordnen.
Das Brummen hielt an, und schließlich begriff er, dass es aus seiner Tasche kam.
Er öffnete die Augen. Er befand sich nicht mehr oben auf dem Bumshügel, sondern war wieder zurück in dem verbeulten Autowrack, das schräg auf einem zugewucherten Vorsprung lag. Harry klemmte mit dem Rücken am Lenkrad, ohne genau zu wissen, wie er dort hingeraten war. Draußen wurde es langsam hell. Sein Kopf quoll über vor verwirrenden Bildern.
Da seine Vision nichts darüber enthalten hatte, wie das Auto in den Abgrund gelangt war, nahm Harry an, dass sowohl der Mann als auch die Frau bereits tot waren, als das Auto hinuntergeschoben wurde.
Ja. So musste es gewesen sein …
Dieses gottverdammte Brummen.
Es hörte einfach nicht auf.
Harry richtete sich auf dem Sitz auf und streckte den Kopf durchs offene Seitenfenster, die Rippen gegen das Lenkrad gedrückt.
Das Brummen stammte von seinem Handy.
Harry holte es hervor und nahm ab.
»Hey, verdammt noch mal, ich wollte dich schon holen kommen«, rief Tad.
»Tut mir leid. Ich bin irgendwie in Ohnmacht gefallen.«
»Alles in Ordnung, Kleiner?«
»Nicht so richtig.«
»Hast du was gesehen?«
»Allerdings.«
Langsam rollte der Mercedes vorwärts; Harry glitt mit dem Seil um die Hüfte den Hügel hinauf und drückte sich mit den Beinen vom Felsen ab. Er versuchte, übers Telefon mit Tad zu kommunizieren, aber das klappte nicht so gut. Er konnte das Handy kaum festhalten, geschweige denn hineinsprechen. Schließlich steckte er es in die Jackentasche und hoffte das Beste.
Oben tröpfelte Tageslicht durch die Baumkronen, und der Mercedes hielt an. Mit zittrigen Händen befreite Harry sich aus dem Seil.
Tad stieg aus dem Auto und lief zu ihm zurück.
»Hast du Vincent gefunden?«
»Hab was anderes gefunden.«
»Und zwar?«
»Ich glaube, mehr Fragen als Antworten.«
Teil V
Das Herz des Verbrechens
Kapitel 50
Den Rest des Tages verbrachte Harry bei Tad zu Hause in unruhigem Schlaf.
Er konnte an nichts anderes denken als daran, wie Kayla es wohl aufnahm, wenn er ihr erzählte, was er gesehen hatte. Wie ihr Vater tatenlos zugeschaut hatte.
Sollte er es ihr sagen? Spielte es überhaupt noch eine Rolle? Das war alles so lange her.
Das Auto. Es war bestimmt genau das, von dem er bereits gehört hatte und das er für eine Legende gehalten hatte. Das Auto mit dem Liebespaar. So hieß es zumindest. Die Leichen waren vor langer Zeit weggebracht worden, oder vielleicht erst, nachdem sie jahrelang unentdeckt dort gelegen hatten. Ihre Mörder waren nie gefasst worden.
Und den alten Wagen hatte man einfach zurückgelassen, weil es einen zu großen Aufwand bedeutet hätte, ihn da herauszubugsieren. So lief das eben früher in einer kleinen Stadt wie dieser. Forensik wurde für eine ansteckende Krankheit gehalten. Die Geschichte von dem Mord machte die Runde, und irgendwann, wenn nicht jemand sich die Mühe machte und Nachforschungen anstellte, hielt man das Ganze nur noch für ein Märchen.
Das alles rumorte Harry im Kopf herum, bis er es nicht mehr aushielt. Eine Zeit lang hatte er versucht, sich in den Schlaf zu flüchten, aber dann spulte sich das ganze Grauen wieder von vorn ab und schlich am Rand seiner Träume umher, ehe er schließlich aufwachte.
Das Ganze hatte sich nicht nur in Form von Bildern in seinem Gedächtnis festgesetzt – er spürte auch alle Empfindungen. Als wäre er derjenige gewesen, der vergewaltigt worden war. Und er hatte die Angst des Mannes gespürt, als die Pistole abgefeuert wurde – eine plötzliche Übelkeit und die traurige Erkenntnis, dass es mit seinem Leben vorbei war.
Harry setzte sich im Bett auf, stopfte sich ein Kissen in den Nacken und sah zu, wie das Sonnenlicht am Fensterrahmen entlangwanderte und dann das Fenster durchflutete.
Er stand auf, um sich einen Kaffee zu machen, aber Tad war ihm bereits zuvorgekommen. Der Kaffee war fertig, die Eier brutzelten auf dem Herd.
Sie tranken Kaffee und aßen Toast mit Ei, und hinterher fragte Tad: »Bist du dir ganz sicher bei dem, was du gesehen hast?«
Harry nickte. »Irgendwie war das alles ziemlich verwirrend. Der ganze Ablauf war wie durcheinandergewürfelt.«
»Erzählst du es Kayla?«
»Keine Ahnung. Vielleicht sollten wir die ganze Angelegenheit einfach vergessen.«
»Vielleicht.«
»Was würdest du tun?«
»Ich würde es wahrscheinlich nicht auf sich beruhen lassen.«
»Mal ehrlich. Würdest du es ihr sagen?«
»Ja.«
»Selbst wenn das hieße, dass du
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