Blutiges Echo (German Edition)
grinste. »Keine Ahnung, mein Sohn. Sagt man eben so.«
Plötzlich packte Harry seinen Dad und umarmte ihn. »Ich hab dich lieb!«
»Tja, also, ich dich auch, mein Sohn. Hey, zerquetsch mir nicht die Rippen.«
Später war Harry sehr froh darüber, dass er seinen Vater in den Arm genommen hatte.
Denn am selben Abend, während Harry in der Stadt herumfuhr mit Joey auf dem Beifahrersitz, der ein bisschen Cola mit Whiskey trank und ihm ebenfalls etwas anbot, was er aber ablehnte, und während sie versuchten, Mädels anzusprechen, sich ungeschickt anstellten und keinerlei Erfolg verbuchen konnten, danach auf den Highways herumkurvten und das Dairy Queen umrundeten, irgendwelchen vorbeifahrenden Freunden zuwinkten und sich dabei königlich amüsierten – während all dessen saß sein alter Herr zu Hause am Abendbrotstisch und stand dann irgendwann abrupt auf. Seine Mom erzählte es später so: »Eben ging es ihm noch gut; im nächsten Moment schoss er kerzengerade hoch und sagte: ›Irgendwie fühle ich mich seltsam‹, dann hat er sich an den linken Arm gepackt und fiel um.«
Herzinfarkt.
Mausetot.
Harrys Welt ging in die Brüche.
Kapitel 10
Für einige Monate geriet Harrys Leben komplett aus den Fugen. Er war so neben der Spur, dass Kayla ihm zwar leidtat, als er von ihrem Dad in der Zeitung von Tyler las, er sich aber einfach nicht aufraffen konnte, zum Hörer zu greifen.
Außerdem hatte er sie seit Jahren nicht gesehen. Hin und wieder kam sie ihm in den Sinn, doch das war die Kayla von damals, nicht die jetzige Kayla. Manchmal, wenn er an sie dachte, fühlte es sich an, als würde ein Stück von ihm fehlen. Dieses Puzzleteil. Doch das war wahrscheinlich nur Wunschdenken. Kindheitserinnerungen.
Vielleicht hätte ihr ein freundliches Wort gutgetan, vielleicht auch nicht. Harry wusste nicht, ob er noch freundliche Worte übrig hatte, oder ob sie sich überhaupt an ihn erinnern würde, so wie er sich an sie erinnerte.
Trotzdem war es merkwürdig, wie ihr Vater gestorben war.
Er konzentrierte sich auf einen bestimmten Absatz in dem Zeitungsartikel:
Jerome Jones wurde tot in seiner nur zeitweise geöffneten Werkstatt an der High Street gefunden. Er hing an einem Lampenkabel an einer Tür innerhalb des Gebäudes. Seine Tochter entdeckte ihn am Donnerstagabend gegen zwanzig Uhr, nachdem er nicht von der Arbeit nach Hause gekommen war. Es wird Selbstmord vermutet, doch die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen.
Arme Kayla, dachte er. Was machte sie überhaupt hier? War sie wieder hierhergezogen? Oder war sie bloß in der Nähe gewesen?
Verdammt. Zum Teufel mit Kayla.
Unwirsch schob er die Zeitung beiseite.
Und die Welt drehte sich weiter.
Kapitel 11
An der Decke hingen Schatten, die wie die Rotorblätter eines Ventilators aussahen, und das lag daran, dass in der Deckenlampe kleine Lamellen eingebaut waren.
Der große Mann lag auf dem Bett, sah hinauf und ließ sich dies oder jenes dabei durch den Kopf gehen, doch er hätte gar nicht genau sagen können, was. Eine Spinne krabbelte aus der Lampe und ließ sich an einem Faden herunter, und er dachte, wenn das Viech fällt, fällt es auf sie.
Er wandte sich um und schaute zu der Frau neben ihm, dann zu seinem Partner, der auf der anderen Seite des weiblichen Sandwichs lag und grinste. Sein Partner hatte den Ellenbogen aufgestützt und schaute ebenfalls zu ihm, also hob er den Kopf und grinste zurück. Zwei Grinsekatzen, die ihren Spaß hatten.
Der große Mann schwang die Beine über die Bettkante, setzte sich auf und blickte zur offenen Badezimmertür hinüber. Das Auto kam ihm in den Sinn. Sie mussten den Wagen loswerden, und zwar bald. Es tat gut, sich einen Augenblick hinzulegen – die viele Bewegung und das Adrenalin hatten ihn erschöpft –, aber wenn man diesen Augenblick zu sehr in die Länge zog, flog einem der ganze Kram irgendwann um die Ohren. Das musste man unbedingt im Hinterkopf behalten.
Sie hatten sie beim Motel gefunden. Das war einer der Orte, wo sie immer wieder Ausschau hielten, und meistens hatten sie kein Glück, aber heute Abend schon. Sie fuhren gemütlich hin, und hinterm Gebäude stießen sie auf das Mädchen, das gerade aus seinem Auto stieg und zu einem der nebeneinanderliegenden Zimmer wollte.
Sie waren schnell wie der Blitz. Im Handumdrehen waren sie ausgestiegen und hatten sie gepackt, hielten ihr den Mund zu, zerrten sie in ihren eigenen Wagen und brieten ihr eins mit dem Reifenheber über. Dann ließen sie sie in
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