Blutiges Eis
Knastbruder als wesentlich kooperativer erweisen wird, wenn er erst mal einen Blick auf das da geworfen hat.«
Squier stand auf. »Ich bin froh, dass ich mit Ihnen arbeiten konnte, John. Wissen Sie, ich werd mir jetzt erst mal eine Auszeit nehmen, um meine Optionen zu sondieren. Und ich werde ernsthaft darüber nachdenken, ob ich zur Polizei gehen soll. Und das verdanke ich einzig und allein Ihnen.«
»Das würde ich mir nie verzeihen.«
»Bei meinem nächsten Job möchte ich sichergehen, dass ich wirklich Menschen helfe. Von diesem Führ-jeden-hinters-Licht-Getue hab ich endgültig die Nase voll. Wenn es das ist, was Ottawa will, stehe ich ihnen dafür jedenfalls nicht mehr zur Verfügung.«
Cardinal dachte, Squier würde tatsächlich salutieren, doch er knöpfte nur seinen Mantel zu und schüttelte ihm ein letztes Mal die Hand.
»Kämpfen Sie weiter für die Guten«, sagte er. Und dann war er draußen.
Cardinal wartete einen Moment und ging dann hinunter, um bei Delorme an der Zimmertür zu klopfen. Delorme kam in Jeans und T-Shirt, das Haar noch nass von der Dusche.
»Was ist los?«, fragte sie. »Ich dachte, wir treffen uns nachher zum Essen.«
»Calvin Squier, vormals beim Canadian Security Intelligence Service, möchte sich mit einem Kuss versöhnen.« Cardinal hielt das Video hoch. »Er hat Geschenke mitgebracht.«
»Stark. Und worauf schauen wir uns das an?«
Sie fuhren zur RCMP-Zentrale zurück. Sergeant Ducharme hatte sein Büro schon verlassen, und das erwies sich als problematisch. Der junge Mountie am Empfang hatte es nicht eilig damit, Polizisten aus anderen Provinzen, geschweige denn aus anderen Behörden hereinzulassen. Nachdem er nicht nureine, sondern gleich zwei Vorgesetzte um Rat gefragt hatte, rief er schließlich Sergeant Ducharme zu Hause an und bekam grünes Licht.
Es folgte eine langwierige Suche nach einem leeren Büro. Zu guter Letzt durften Cardinal und Delorme es sich in einem Vernehmungszimmer mit einem Fernseher und einem Videogerät bequem machen. Das Video war eine knappe halbe Stunde lang, und als es zu Ende war, drehte sich Delorme zu Cardinal um und sagte: »Wie’s aussieht, hat Ihr CSIS-Mann einmal einen Treffer gelandet.«
»Ich nehme alles zurück, was ich über ihn gesagt habe. Lassen Sie uns essen gehen, und ich will gerne auf Calvin Squier anstoßen.«
Zwanzig Minuten später saßen sie in einer Nische des Embassy Restaurant auf der Peel Street. Genauso wie die Bezeichnung »Hotel« für das Regent etwas anmaßend war, so erwies sich die Kategorie »Restaurant« für das Embassy als ein wenig hochgegriffen. Zugegeben, es hatte Tischtücher und gepolsterte Sitzbänke. Es hatte eine Hostess und gedämpftes Licht und auch Kellnerinnen in verführerischem Outfit und schließlich auch noch ein Schild mit der Aufschrift Bitte warten Sie, bis wir Ihnen einen Platz anweisen. Doch alles andere – von den Speisekarten über die Vinylpolster zu den fischlosen Aquarien in Sargformat – erinnerte eher an Fressbude.
»Was haben die wohl mit den Goldfischen gemacht?«, murmelte Delorme, als sie die Speisekarte studierten.
»Wahrscheinlich an ein besseres Restaurant verkauft«, sagte Cardinal. »Ist das hier für Sie in Ordnung oder sollen wir woanders hingehen?«
»Ich bin müde und halb verhungert. Bleiben wir hier.«
»Wissen Sie schon, was Sie nehmen? Ich will ein Steak.«
»Ich die Meeresfrüchte spezial.«
»Da wäre ich vorsichtig. Vielleicht bekommen Sie eine große Portion kleine Goldfische.«
»Ist mir egal. Ich werd’s mit reichlich Bier runterspülen.«
Sie bestellten bei einer feindseligen jungen Frau, in deren Lebensentwurf offenbar Kellnern nicht vorkam. Cardinal war einfach nur froh, dass sie auf Englisch nach ihren Wünschen fragte.
Als das Bier kam, nahm Cardinal einen Schluck von seinem Labatt’s und blickte nachdenklich auf die Flasche. »Schmeckt irgendwie seltsam.«
»Sie machen es anders für den Quebecer Markt.«
»Wieso?«
»Weil die Frankokanadier sensiblere, kultiviertere Geschmacksnerven haben.«
»Ah, sicher. Berühmt dafür.«
Delorme schnitt ein Gesicht. Sie hatte ihr Haar offen gelassen, so dass es in dicken, lockigen Wellen über ihre Schulter fiel, und sie trug ein rotes T-Shirt, das besser aussah, als einem T-Shirt zustand. Über ihrem Brustbein war eine winzige schwarze Katze eingestickt.
Als ihr Essen kam, war es zu ihrer Überraschung ausgezeichnet. Cardinals Steak war zart und genau halb durch, so wie er es mochte.
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