Blutiges Eis
Wir haben damals wie wahnsinnig versucht, eine Verbindung zwischen ihrer Ermordung und der FLQ herzustellen, aber wir fanden nichts. Nada.«
»Also, was sagen Sie zu Folgendem?«, fragte Cardinal. »Madeleine Ferrier war mal nach Yves Grenelle verrückt.«
»Da scheint mir was entgangen zu sein«, sagte McLeod. »Wieso ist es wichtig, dass sie mal auf Grenelle scharf war?«
»Weil sie wohl kaum sein Gesicht vergessen hatte, selbst nach fast zwanzig Jahren, denn so viel Zeit liegt zwischen ihrer Mitgliedschaft bei der FLQ und ihrem Auftauchen in Algonquin Bay.«
Cardinal und Delorme gelang es, die Ferrier-Akte im Archiv aufzustöbern. Sie war fast zehn Zentimeter dick. Unaufgeklärte Mordfälle durften nicht ausgedünnt werden, selbst nach zwölf Jahren. Sie saßen jeder am eigenen Schreibtisch, mit je einer Aktenhälfte.
Eine halbe Stunde lang lasen sie schweigend.
Außer dem Opfer und der Art, wie es getötet wurde, schien nichts den damaligen Fall mit dem heutigen zu verbinden. Madeleine Ferrier, siebenunddreißig Jahre alt, war vor zwölf Jahren nach Algonquin Bay gezogen. Ferrier, die an der Highschool Französisch und Geographie unterrichtete, war zwei Monate in der Stadt gewesen, als sie ermordet wurde. Sie wurde in einem Waldstück zwischen Algonquin Mall und Trout Lake Road gefunden – wie McLeod gesagt hatte, nackt und erdrosselt. Bis auf die zerrissenen Kleider hatte die Gerichtsmedizin keinen Hinweis auf Vergewaltigung gefunden.
Verdächtige? Keine. Sie war noch nicht lange genug in der Stadt, um sich Feinde zu machen – oder auch Freunde. Das Wäldchen, in dem sie gefunden wurde, war eine viel benutzte Abkürzung zwischen der Mall und ihrem Viertel. Jeder hätte sie dort sehen können.
Da es keine Verdächtigen gab, türmte sich ein Berg an Zusatzberichten auf. Es hatte nichts gegeben, was die Suche eingeengthätte. Sie hatten jeden verhört, der an jenem Abend in der Mall war. Dasselbe galt für die Ladenbesitzer in der Mall. Und für sämtliche Mieter in dem Gebäude, in dem sie ihre Wohnung gemietet hatte. Die Protokolle bildeten praktisch eine eigene Akte.
»Also, eigentlich sollte es zu einer Akte dieser Dicke einen Index geben. Würde die Sache wesentlich erleichtern.«
»Stimmt«, sagte Cardinal. »Solange Sie nicht derjenige sind, der den Index machen soll.«
»Hier ist was.« Delorme hielt ein Blatt aus den Zusatzberichten mit der Überschrift »Befragung von Paul Laroche« hoch. »Paul Laroche gehört das Haus, in dem Dr. Cates gewohnt hat, oder?«
»Paul Laroche gehören eine Menge Häuser.« Cardinal rollte seinen Stuhl neben Delorme.
»Also, das hier hat ihm nicht gehört. Die Willowbank Appartements in der Rayne Street. Sein Beruf wird hier mit Immobilienmakler angegeben, aber für Mason & Barnes Real Estate. Damals war er noch ein kleiner Fisch.«
»Er vielleicht, aber Mason & Barnes nicht. Und das ist der erste Name, der in beiden Fällen erwähnt wird.«
Sie lasen leise.
Paul Laroche, damals fünfundvierzig, hatte Detective Dick Turgeon zu Protokoll gegeben, dass er nichts über die Tote wisse. Er habe sie ein paarmal in der Lobby gesehen, mehr nicht. An dem Abend, als sie ermordet wurde, sei er zu Hause gewesen und habe eine neue Stereoanlage eingerichtet, die er eben gekauft habe. Turgeon hatte keine Veranlassung, Laroche weiter zu befragen.
Delormes Telefon klingelte. Sie hörte einen Moment zu, klemmte sich dann den Hörer zwischen Ohr und Schulter, während sie in die Tastatur tippte. »Ja, hab ich. Ja, die Anlagen sind auch da. Nochmals herzlichen Dank für Ihre Hilfe. Wir wissen das sehr zu schätzen.«
Cardinal rollte seinen Stuhl neben ihr näher an den Bildschirm.
»Miriam Stead«, sagte Delorme. »Sie hat uns alles per E-Mail geschickt. So ist es schärfer als bei einem Fax.«
Delorme hatte eine Anlage angeklickt, die sich jetzt auf dem Monitor entfaltete.
»Wow. Ich hoffe, er hat einen besseren modischen Geschmack«, sagte Cardinal.
Auf dem Bild war ein Mann um die Mitte fünfzig zu sehen, mit einem clownsartigen Haarkranz in Pfeffer und Salz. Der zu weite Anzug und die breite Krawatte unterstrichen die clowneske Wirkung noch.
Delorme klickte auf eine andere Anlage. Sie brauchte einen Moment, um sie zu öffnen. »Junge, Junge, jetzt haben wir den Kojak-Look.«
Dasselbe Gesicht ohne die mildernde Wirkung des Haars sah jetzt nach einem rücksichtslosen Schiffsmagnaten oder einem in die Jahre gekommenen Killer aus.
»Deshalb hat Gott Haare erfunden«,
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