Blutiges Gold
Einwände, als er sie zu ihrem Arbeitstisch begleitete. Sie hielt den Ring unter das Mikroskop und zwang sich, nicht von dem spiralförmigen, machtvollen Muster absorbiert zu werden. Sie redete sich ein, damit Erfolg zu haben.
Die Gänsehaut, die sich auf ihren Armen bildete, verriet das Gegenteil.
Der etwa drei Finger breite Ring war für einen muskulösen Arm oder für einen sehr zarten Hals gemacht und auf eine Weise verziert, dass das Licht über ihn floss und den Anschein erweckte, der Ring sei ständig in Bewegung, atmete, lebte . Ohne Vergrößerung glichen die dekorativen Muster im Hintergrund dem symmetrischen Flechtstil des Snettisham-Funds. Aber was ihr ins Auge stach – und ihr den Atem raubte –, war das Gesicht, das sie durch die Nebel der Zeit hindurch anblickte.
Mandelförmige Augen aus blauem Email mit schwarzen Pupillen – Augen, die ins Leere blickten, aber auf unheimliche Weise allsehend waren. Hohe Stirn, geeignet, eine Krone zu tragen. Eine dünne Linie als Nase, kein Mund. Das Gesicht – vielleicht war es auch ein Totenschädel – beherrschte die dichten Muster, aus denen es entsprang. Die Muster selbst waren höchst abstrakte, sich überkreuzende Linien, die Gänse symbolisierten. Ein Rabe mit dickem Schnabel begrenzte beide Seiten des Kopfes oder Schädels.
Der Rabe des Todes, unsterbliche Gänse, und der Mensch dazwischen gefangen, vom Tod zur Ewigkeit kommend.
Sie hätte geschworen, dass sie das nicht laut ausgesprochen hatte, aber neben ihr sagte Shane: »Ja.«
Risa schüttelte den Zauberbann der Zeit mit grimmiger Entschlossenheit ab. Als sie sprach, klang ihre Stimme völlig neutral. »Der Künstler, der diesen Ring schuf, kannte sich in allen Stilformen aus: in der Hallstatt-Kultur, dann alle Variationen von Latène; und er kündigte bereits den Stil an, für den die Vermeidung freier Flächen charakteristisch ist und der mit dem Book of Kells als Höhepunkt des Keltischen bekannt wurde.«
»Wollen Sie damit sagen, dass er im neunten Jahrhundert nach Christus lebte?«, fragte Shane.
»Er oder sie. Ich verwende nur der Bequemlichkeit halber die maskuline Form.« Risa machte eine schnelle Bewegung mit ihrer Hand, bevor er noch etwas dazu sagen konnte. »Um Ihre Frage zu beantworten, müsste ich viele Objekte miteinander vergleichen, vor allem solche, die an derselben Stelle gefunden wurden. Nur aufgrund stilistischer Merkmale ist es sehr schwierig, eine zeitliche Einordnung vorzunehmen. Unglücklicherweise blieben manche Stilarten des Keltischen in einer Region über lange Zeit gleich, während sie sich in einer anderen Gegend stark weiterentwickelten. Dadurch sind Spekulationen über die Entstehungszeit und die genaue Herkunft eines gegebenen Objekts Tür und Tor geöffnet; sie können jedenfalls nicht den Anspruch von Wissenschaftlichkeit erheben.«
»Könnte er auch aus dem sechsten Jahrhundert sein?«
»Möchten Sie den Ring kaufen?«, fragte sie sehr leise.
»Was meinen Sie?«
»Ich denke, wir sollten uns über die Provenienz unterhalten.«
»Dazu kommen wir schon noch.«
»Vor oder nach dem Kauf?«, schoss sie mit einem wütenden Unterton zurück.
Er gab ihr keine Antwort.
Enttäuscht wandte sie sich wieder dem funkelnden Armring zu, der unglaubliche Macht ausstrahlte. Den Blick unverwandt auf dem Ring, fragte sie sich, wofür Shane sie überhaupt bezahlte. Die Hälfte der Zeit ignorierte er, was sie sagte. Und die andere Hälfte kämpften sie miteinander.
Je länger alle Beteiligten das Thema der Provenienz der Kunstwerke vermieden, desto sicherer war sie, dass ihr Chef und sie ihrem letzten Kampf entgegensahen. Es gab keinen Zweifel, aber auch nicht den geringsten, dass diese Objekte Diebesgut waren. Fragte sich nur, wann und wo sie gestohlen wurden.
Und wie viele Menschen dabei umgekommen waren.
28
Las Vegas
3. November
Am frühen Nachmittag
Die Stille in Miranda Setons Haus war bedrückend und die Luft zum Schneiden dick. Cherelle tat nur eins: Sie wanderte auf und ab, auf und ab, vom Wohnzimmer in die Küche, von der Küche ins Wohnzimmer – ein nervöser Geist in limonengrüner Seide.
Tim müsste längst zurück sein. Wenn er je zurückkam.
Komm nicht ohne den Armreif zurück. Niemals.
Sie hatte es ernst gemeint. Und sie meinte es immer noch so. Aber sie wollte diesen Ring wirklich wieder zurückhaben. Je länger sie darüber nachdachte, dass sie Teile des Goldes weggegeben hatte, desto größer wurde ihre Angst, es könnte ihr nicht genug
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