Blutiges Schweigen
diesem Wald stimmt etwas nicht. Du warst ja selbst dort, David. Du hast es gespürt, richtig?«
Ich antwortete nicht.
Er lächelte. »Natürlich hast du es gespürt. Er hat dreizehn Frauen in diesem Wald vergraben, und niemand hat sie gefunden. Und bis es so weit ist, wird dieser Ort seine Macht nicht verlieren. Schließlich sah man keine andere Lösung, als eine Betonmauer und einen Zaun hochzuziehen und den Rest der Natur zu überlassen. Man hat versucht, die Leichen, sein Geburtshaus und die Geister, die dort umgehen, zu vergessen.« Er hielt inne, beugte sich vor und senkte seine Stimme zu einem Flüstern. »Aber ich habe es nicht vergessen. Ich musste die Leichen finden.«
»Warum?«
»Bezeichnen wir es einmal als psychologischen Vorsprung. Wenn ich die Leichen finde, hat Sykes ausgespielt. Nicht mehr er ist der Daddy.« Er hielt inne und zwinkerte. »Sondern ich .«
»Du bist ja total durchgeknallt.«
»Wirklich?«
»Hör dich doch nur an.«
»Ich höre.« Er hielt sich die Hand ans Ohr. »Oh, ich klinge ja so toll , David. Schließlich bin ich der Mann, der Milton Sykes’ Opfer gefunden hat. Die Polizei sollte mir dankbar sein. Ich habe ein hundert Jahre altes Rätsel gelöst.«
»Woher wusstest du, wo sie waren?«
Er beugte sich vor und strich sich mit dem Finger übers Auge. »Der Hund hat sie entdeckt.«
»Der Windhund?«
»Er ist mir schon ganz zu Anfang im Wald zugelaufen, mir ständig gefolgt und mir auf die Nerven gefallen. Und dann hat er angefangen, jeden Tag an einer bestimmten Stelle herumzubuddeln, bis er mir schließlich einen Oberschenkelknochen gebracht hat.«
»Und du hast ihn großzügig dafür belohnt.«
»Stimmt, oder etwa nicht?«
»Verbrennungen mit Zigaretten, eine Hauttransplantation, das halbe Gesicht weggeschnitten. Die meisten Hundebesitzer denken, dass Dosenfutter genügt.«
Er lächelte. »Manchmal habe ich mich über ihn geärgert, und dann hat er mir wieder leidgetan.«
»Das bezweifle ich.«
»Er hatte Hautkrebs. Ich habe ein Stück Haut vom Oberschenkel einer der Frauen genommen und es ihm verpflanzt. Zugegebenermaßen nicht wissenschaftlich korrekt. Aber was soll’s – das Mädchen war bereits tot.« Schulterzuckend breitete er die Hände aus. »Schau, auch ich kann nett sein.«
Dreißig Sekunden vergingen, in denen wir einander wortlos musterten. Schließlich brach er das Schweigen.
»Eine interessante Gegend, dieses Hark’s Hill«, stellte er fest. »Unter dem Waldboden verbirgt sich eine geheimnisvolle Welt, von der die meisten Menschen nichts ahnen. Oder sie haben es vergessen. Dort hat Sykes Jenny Truman hingebracht. Er hat sie überredet, ihn zu begleiten, und ist dann mit ihr in die Tunnels zwischen den Fabriken gegangen.« Er hielt inne. Seine Augen blitzten auf. »Ein Versteck wie aus dem Bilderbuch. Die mit Brettern verrammelte Tür neben dem Lüftungsschacht führt direkt in die alte Munitionsfabrik am anderen Ende des Waldes. Auf diese Weise habe ich meine
Ausrüstung, die Gerätschaften und die anderen Utensilien hinuntergeschafft. Und als ich fertig war, habe ich die Tür zugeschweißt.«
Wieder Stille. Wir musterten einander. Seine Miene war so ausdruckslos wie zuvor. Kein Hauch von Gefühl. Kein Hinweis darauf, was er dachte. Er schob sich eine dunkle Haarsträhne aus den Augen und schnupperte, als sei ihm ein angenehmer Geruch in die Nase gestiegen.
»Warum hast du die Halsketten zurückgelassen?«
»Weil es ein Spaß war.«
»Deswegen bist du aber erwischt worden.«
»Wirklich?«
»Ohne die Halsketten hätte niemand einen Zusammenhang zwischen den Frauen oder eine Verbindung zu dir vermutet. Du hast dich selbst verraten.«
Er zuckte die Schultern. »Ich stand ja kurz vor dem Abschluss meines kleinen Projekts.«
»Was soll das heißen?«
»Dass die Halsketten ein wichtiger Aspekt waren. Mir gefiel die Vorstellung, der Polizei eine kleine Nachricht zu hinterlassen. So eine Art Visitenkarte. Etwas, um sie zu ärgern und auf die Probe zu stellen. Allerdings sollte es nicht ewig so weitergehen. Noch eine Frau nach Jill, und meine Forschungsarbeit wäre beendet gewesen.«
»Und dann wärst du einfach verschwunden?«
Er schmunzelte. »Nicht unbedingt.«
»Sondern?«
»Das hatte ich noch nicht entschieden.«
Ich musterte ihn. Er strich mit den Fingern der freien Hand die Tischkante entlang. Die Haut knisterte, wenn sie an der rauen Oberfläche hängen blieb.
»Wie viele hast du umgebracht?«
Mit einem Seufzer ließ er die
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