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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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hatte. Am Zahltag machten sie oft die Stadt unsicher. Wenn man annahm, dass sie Ende des Monats ihr Gehalt bekommen hatten, hieß das, an den letzten Tagen des einen oder den ersten Tagen des nächsten Monats.
    Also übersprang ich die drei Wochen zum letzten Novemberwochenende.
    Am Freitag nichts, aber am Samstag tauchten sie wieder im Tiko’s auf. Um elf Uhr wie beim letzten Mal. Der Ablauf war mehr oder weniger der gleiche. Durch die Menge, an die Bar, hinauf in den ersten Stock, dieselbe Stelle neben den Sofas, fünf weitere Exkursionen zum Tresen und schließlich auf die Tanzfläche. Auf den übrigen DVDs — Dezember, Januar, Februar, März — wiederholte sich dieses Muster.
    Die ersten Aufnahmen auf der sechsten DVD stammten vom Samstag, dem ersten April. Achtundvierzig Stunden vor Megans Verschwinden. Die Mädchen betraten kurz vor elf
Uhr den Club und gingen zur Bar und dann die Wendeltreppe hinauf ins obere Stockwerk. Sie unterhielten sich eine Weile, und dann, als die Uhr in der Ecke des Bildschirms Mitternacht anzeigte, drehte sich Megan leicht zur Seite, um jemanden vorbeizulassen. Und plötzlich hatte ich ein Gefühl des Wiedererkennens.
    Ich hielt den Recorder an. Megan schaute in die Kamera. Die beiden anderen standen links und rechts von ihr. Mir war jemand aufgefallen, den ich mir unbedingt aus der Nähe anschauen wollte, doch ich konnte ihn in der Dunkelheit nicht richtig erkennen. Also rutschte ich näher an den Bildschirm heran und ließ die Aufnahme mithilfe der Fernbedienung langsam weiter ablaufen. In einem Bild beugte Lindsey sich zu Megan hinüber, im nächsten wich Kaitlin einen Schritt zurück.
    Und da sah ich ihn.
    In diesem Moment wurde mir klar, dass ich bereits auf einer anderen DVD einen Blick auf ihn erhascht hatte, ohne mir dessen bewusst gewesen zu sein. Genau wie jetzt war er nur kurz ins Bild gekommen. Er saß, verdeckt von einem Gewirr von anderen Gästen, auf der Lehne des Sofas, das am weitesten von den Mädchen entfernt war. Dunkles Haar. Schwarze Jacke. Schwarzes Hemd. Jeans. Schwarze Schuhe.
    Er blickte Megan direkt an.
    Als das Bild zur nächsten Einstellung sprang, hatte er sich nicht gerührt und schien völlig erstarrt. Er hielt den Kopf leicht gesenkt, sodass sein Kinn fast seinen Hals berührte, und spähte unter den Augenbrauen hervor. Seine Haut war zwar hell, aber er hatte unbeschreiblich dunkle Augen. Wegen des Kamerawinkels wirkten sie wie Löcher in seinem Kopf.
    Dann bewegte Lindsey sich wieder. Der Mann verschwand hinter ihr.
    Ich betrachtete weiter die Aufnahmen und sprang zwischen
den einzelnen Einstellungen hin und her. Weitere Gäste kamen die Treppe herauf. Irgendwann stand eine Gruppe von acht oder neun Männern neben Megan, Lindsey und Kaitlin. Zwölf Minuten später verschwanden sie endlich wieder.
    Und der Mann war fort.
    Ich spulte vor bis zu der Stelle, als die Mädchen den Club um halb zwei Uhr verließen, und sah mir den Rest bis zum Lokalschluss um vier Uhr an. Der Mann tauchte nicht mehr auf. Also spulte ich zum frühen Abend zurück, als das Trio die Treppe hinauf in den ersten Stock gegangen war. Er erwartete sie nicht dort oben, sondern war  – wie ein Gespenst — im Schutz der Menschen für ein paar Minuten erschienen, um sich anschließend wieder in Luft aufzulösen.
    Ich legte die März-DVD zum zweiten Mal ein und spulte vor zum Abend des ersten Freitags im Monat. Anderthalb Stunden vergingen. Als die Uhr auf dem Bildschirm 00:37 anzeigte, zerstreute sich hinter den Mädchen eine Gruppe — und der Mann war zu sehen. Beim ersten Mal hatte ich ihn verpasst. Jetzt nicht mehr. Fünfeinhalb Minuten lang saß er da und beobachtete Megan durch die Lücken zwischen den Leuten. Es war genauso wie auf der April-DVD. Dieselben Kleider. Derselbe Gesichtsausdruck. Dunkle Augen, die sich nie von ihr abwandten.
    Kein einziges Mal.
    Ich schaute alle bereits angesehenen Aufnahmen noch einmal durch. Er war — mit Ausnahme des ersten Oktober — jeden Monat da. Immer nur kurz, nie weniger als fünf und nie länger als acht Minuten. Es war sehr leicht, ihn zu übersehen, weshalb er vermutlich auch der Polizei nicht aufgefallen war. Sicher hatten die Polizisten alle viertausend Stunden kontrolliert und die Aufnahmen von jedem einzelnen Wochentag im Laufe der sechs Monate überprüft, um auf Nummer sicher zu gehen. Mit Ausnahme der Vormittage war der Laden
stets proppenvoll: Unmengen von Menschen, Gedränge. Der Mann war nur insgesamt

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