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Blutiges Schweigen

Blutiges Schweigen

Titel: Blutiges Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T Weaver
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Davonlaufen satt.«
    »Und die Leichen wurden nie gefunden?«
    »Nein«, erwiderte Dooley. »Nach seiner Hinrichtung durch den Strang 1906 hat man den Wald noch einmal durchkämmt,
allerdings wieder ohne Ergebnis. Aber er muss die Leichen dort vergraben haben.«
    »Warum meinst du das?«
    »Er kannte diesen Wald so gut wie ich den Weg zum Tresen. Als Kind hat er sich vor seiner durchgedrehten Familie dorthin geflüchtet. In den Polizeiverhören hat er außerdem einen bestimmten Ort erwähnt. Die Einheimischen nannten die seltsame T-förmige, verkrüppelte und knorrige Eiche den Galgenbaum, weil er wirklich wie ein Galgen aussieht. Es gibt im Internet Fotos davon. Die meisten fanden das schrecklich gruselig, aber nicht der kleine Milton. Er hat den Baum so geliebt, dass er sogar ein Baumhaus dort gebaut hat. Warst du je dort?«
    »Hark’s Hill? Nein.«
    »Ein komischer Ort. Hat so eine …« Dooley hielt inne und senkte noch mehr die Stimme. »… gewisse Atmosphäre.«
    Ich schmunzelte. »Seit wann stehst du aufs Übersinnliche?«
    »Lach nur. Wenn du mir nicht glaubst, frag die Mannschaften, die man in den zwanziger Jahren hingeschickt hat, um dort eine Eisenbahntrasse zu verlegen.«
    »Was meinst du damit?«
    »Im Jahr 1921 haben die Behörden beschlossen, dass sie gerne eine Bahnlinie hätten, die die Fabriken in Hark’s Hill mit der Haupttrasse auf der anderen Seite des Waldes verband. Also hat man Bautrupps hingeschickt, die einen Weg roden und die Fundamente für die Gleise legen sollen, aber …« Wieder hielt er inne. »… sie haben sich gegruselt.«
    »Gegruselt?«
    »Ständig haben sie Dinge gehört und gesehen.«
    »Was für Dinge?«
    »Niemand war sich wirklich sicher, doch es reichte, dass sie sich in die Hosen gemacht haben. Das Projekt wurde vier Wochen fortgesetzt, bis der gesamte Bautrupp die Arbeit niedergelegt hat.«

    »Sie haben einfach hingeschmissen?«
    »Wie ich schon sagte, dieser Wald …« Dooley holte tief Luft. »Als ich die Geschichte zum ersten Mal gehört habe, habe ich mich kaputtgelacht. Aber du solltest da echt mal hinfahren.«
    »Ist das dein Ernst?«
    »Fahr hin«, wiederholte er, ohne auch nur einen Anflug von Humor in der Stimme. »Du kennst mich. Das Einzige, woran ich glaube, ist ein Bier am Freitagabend. Aber wenn man an genügend Tatorten war, kriegt man so ein Gefühl für Leben und Tod. Und manchmal …«
    »Was?«
    »Ich bin jetzt schon seit fünfzehn Jahren bei der Mordkommission, und einige Tatorte, an die man so kommt … Ich weiß nicht … man steht vor einer Leiche, die in einem Loch liegt, und man spürt das Böse. Anders kann ich es nicht beschreiben. Man entwickelt einen sechsten Sinn, Antennen für manche Sachen. Deshalb bin ich überzeugt davon, dass er die Frauen in diesem Wald vergraben hat. Ich war dort … und da stimmt eindeutig etwas nicht.«

22
    Als ich mich dem Haus näherte, sah ich, dass in Liz’ Wohnzimmer der Fernseher lief. Eine Reporterin stand an den Royal Docks, hinter ihr war die Themse zu sehen. Am unteren Bildrand lief ein Schriftband von rechts nach links: LONDONER POLIZEI: IN THEMSE GEFUNDENE FRAU WURDE FAMILIE ÜBERGEBEN. Bis ich die Veranda erreicht hatte, erschien ein zweites Schriftband. FAMILIE HAT GEBETEN, KEINE NAMEN /EINZELHEITEN AN DIE ÖFFENTLICHKEIT ZU BRINGEN. Ich erinnerte mich daran, dass dieselbe Reporterin über dasselbe
Ereignis berichtet hatte, als ich vor einigen Tagen in dem Café unweit der Newcross Secondary School gewesen war. Ich hatte zwar nicht viel von der Sache mitgekriegt, war aber überzeugt, dass man die Meldung nicht am Ende der stündlichen Nachrichtensendung gebracht hätte, wenn etwas dran gewesen wäre. Ich schloss die Tür auf und trat in die Dunkelheit.
    Nach dem Duschen unterzog ich meine Garderobe einer Bestandsaufnahme. Ich legte ein Hemd heraus. Eine Hose. Ein Paar Schuhe, das ich seit der Beerdigung nicht mehr getragen hatte. Dann setzte ich mich auf die Bettkante und betrachtete mein Spiegelbild. Wieder spürte ich das Flackern in der Magengrube, die vielen Zweifel, die Schuldgefühle und die Angst, die mir durch die Brust schossen.
    Es ist zu früh , dachte ich.
    Und dann wurde mir klar, dass es immer zu früh sein würde, wenn ich es nicht endlich tat.
    Zehn Minuten später öffnete Liz die Tür. Sie sah traumhaft aus und trug ein schwarzes, rückenfreies Kleid, das die Konturen ihres Körpers bis hinunter zu den Waden nachzeichnete. Ihr Haar lockte sich an den Spitzen und fiel ihr

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