Blutjägerin (German Edition)
Sie setzte sich und genoss die Fürsorge.
Sophie schaltete das Radio an und las in der Tageszeitung. Es gab weder Berichte über ihren Wagen noch über die nächtliche Spritztour einer Frau im Polizeiwagen, bei der mehrere parkende Autos und ein vom Steuerzahler finanziertes Fahrzeug schwer beschädigt worden waren. Auch der Mord in der Innenstadt erhielt nicht mehr als eine Randnotiz über einen tödlich endenden Streit zweier Obdachloser, deren Namen der Redaktion nicht bekannt waren.
Wie ihr Vater immer gesagt hatte: Sie sind überall. Und bei Gott, er hatte recht gehabt.
Was ihr Auto betraf, musste sie ohnehin in die Wohnung, um nach den Versicherungsunterlagen zu suchen. Sie hatte keine Ahnung, was geschehen war, nachdem sie den Franz-Josephs-Kai verlassen hatte, geschweige denn, wer oder was diesen Vampir-Polizisten abgelenkt und ihr die Flucht ermöglicht hatte. Es hatte sie auf jeden Fall vor Schlimmeren bewahrt.
Der Tag brachte leichten Schneefall und Kälte, die ihr ins Gesicht schnitt, als sie aus der Haustür auf den Innenhof trat. Zu Fuß machte sie sich auf den Weg zur Bushaltestelle. Sie hatte sich vor dem Verlassen der Wohnung Make-up und Parfüm von Dora geborgt, damit ihr nicht jeder anmerkte, dass sie kaum geschlafen und in ihren Kleidern übernachtet hatte.
Auf dem Weg zum Bus kam sie an der Stelle vorbei, wo sie den Polizeiwagen verschrottet hatte. Dieser und auch die anderen beschädigten Autos waren verschwunden. Nur einige Bluttropfen auf dem Gehweg deuteten darauf hin, dass alles wirklich passiert war.
Nach einigen Minuten Verspätung hielt ihr Bus. Sophie stieg ein. Sie ließ ihren Blick durch das Innere schweifen. Die meisten Fahrgäste kamen vom Einkaufen oder waren wahrscheinlich auf dem Weg dorthin. Nichts Besonderes und niemand, der sie auf ungewöhnliche Weise beobachtete. Ein Funken Misstrauen blieb dennoch und sie erwischte sich immer wieder, wie sie die Hälse der Fahrgäste nach Malen absuchte. Wunderbar, allmählich nahm sie paranoide Züge an.
Vier Haltestellen später stieg sie aus und lief zu ihrem Wohnhaus am nördlichen Stadtrand Wiens. Ein Neubau, in dessen Dachgeschoss ihre Studiowohnung lag. Arts of Lacoste stand auf einem Schild neben der Eingangtür. Sie begutachtete das Türglas auf der Suche nach Spuren gewaltsamen Eindringens. Aber falls jemand in ihrer Wohnung war, dann hatte er vermutlich alle Spuren beseitigt, wie es mit dem Tatort und dem Polizeiwagen geschehen war.
Auch im Flur war alles sauber. Sophie nahm die Post aus dem Briefkasten, stieg in den Lift und fuhr in die sechste Etage. Obwohl es keine Anzeichen von Eindringlingen gab, hielt sie ihre Hand in der Tasche, tastete nach dem Dolch.
Warum hatte sie in Dominiks Gegenwart nichts von dem Kampf auf dem Friedhof erwähnt? Jetzt ärgerte sie sich. Sie wusste nicht, ob der Dolch überhaupt noch funktionierte. Dominik hätte ihr bestimmt geholfen, die Waffe wieder einsatzfähig zu machen.
Vor der Wohnungstür hielt sie inne und lauschte. Nichts war zu hören, also schloss sie auf und betrat den Flur. Die Jalousien der Dachfenster standen offen, der Schnee hatte die Scheiben nur leicht angezuckert, sodass helles Licht die Räume flutete undihr etwas Zuversicht schenkte. Sie sah sich um. Alles schien an seinem Platz.
Dennoch war es, als durchsuche sie eine fremde Wohnung. Das heimelige Gefühl vom sicheren Zuhause fehlte. Nach dem ersten, vorsichtigen Auskundschaften der Lage warf sie die Post auf den Tisch und betrat das Schlafzimmer. Sie schlüpfte in eine schwarze Stretchhose und ein graues Langarmshirt, kämmte sich die Haare nach hinten und band sie zu einem straffen Pferdeschwanz.
Der Schein der wiedererlangten Sicherheit in ihren vier Wänden ließ sie darüber nachdenken, ob es Sinn machte, bei Dora einzuziehen und ob ihre Angst nicht nur eine überzogene Reaktion darstellte. Immerhin wartete in ihrem Arbeitszimmer ein Berg unerledigter Projekte und die Auftraggeber würden sich nicht mit einer Geschichte über Vampire abspeisen lassen.
Aber was, wenn der Schein trog? Wenn sie sich durch ihren Trotz in Gefahr brachte? Eine Gänsehaut lief über ihren Rücken bei dem Gedanken, dass ihr jemand auflauerte. Wenn es kein Vampir war, vielleicht ein Blutwirt. Sie konnten praktisch überall sein und waren nur durch Narben an Hals oder Handgelenk erkennbar, die sie meist gut zu verbergen wussten. Ihr Wissen beruhte auf Büchern und Aufzeichnungen ihres Vaters, die plötzlich einen grausamen Sinn
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