Blutjägerin (German Edition)
und vor allem wo?
Sie ging in die Küche und bereitete sich eine Tasse Kaffee, um sich konzentrationsförderndes Koffein in die Blutbahnen zu schießen. Anschließend setzte sie sich wieder an den Schreibtisch und las noch einmal den Obduktionsbericht, den man ihr geschickt hatte. Ein Dokument mit kaum leserlicher Handschrift und getipptem Fachchinesisch, das sie recherchieren musste, um die Worte zu verstehen. Aufschluss brachte es nicht. Es beschrieb nur einen Tod durch Herzversagen. Wo also sollte sie zu suchen beginnen? Oder reimte sie sich nur etwas zusammen, um einen Schuldigen zu finden, wo es keinen gab?
Wo war Kommissar Vermont bloß, wenn sie ihn brauchte? Ein Seufzen verließ ihre Lippen. Sie kannte diesen Mann nicht, wusste nicht, wer er wirklich war, auch wenn sie glaubte, ihm schon einmal begegnet zu sein. Und doch wünschte sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher, als ihm noch einmal so nahe zu sein wie vor wenigen Tagen in seinem Wagen, als er sie auf diese wundersame Weise verarztet hatte. Sie berührte die Stelle an ihrer Schulter. Die Wunde war noch nicht vollständig verheilt, aber sie schmerzte nicht mehr.
Das Klingeln ihres Handys holte sie in die Wirklichkeit zurück. Dr. Seewald, der Notar ihres Vaters, wünschte ihr sein aufrichtiges Beileid. Da er gerade keine Termine hatte, bot er Sophie an, die Angelegenheit rasch über die Bühne zu bringen.
Die Kanzlei von Dr. Seewald lag in der Karlsgasse nahe der historischen Barockkirche in einem renovierten Altbau. Im geräumigen und stilvoll eingerichteten Wartezimmer traf Sophie auf Herrn Julius, der sie herzlich begrüßte. Dr. Seewald ließ nicht lange auf sich warten. Er war ein schmächtiger Mann im maßgeschneiderten Businessanzug, mit ergrautem Haar und Designerbrille. Der Herzlichkeit der Begrüßung der beiden Männer entnahm Sophie, dass es sich um keine reine Geschäftsbeziehung handelte, sondern die Freundschaft tiefer reichte.
Sophie überreichte Seewald das versiegelte Testament. Anschließend folgte der trockene Teil der Testamentsverlesung. Seewald weihte Sophie in ein weiteres Geheimnis der Vampirjäger ein, nämlich die Verschleierung der wahren Eigentümer durch falsche Namen in den Grundbüchern. Als er ihr die Liste sämtlicher Vermögenswerte ihres Vaters offenbarte, zerbröckelte das Bild des mittellosen Landstreichers endgültig.
Vater war reich. Er besaß eine Reihe von Liegenschaften in Wien, Salzburg, Paris und Venedig, des Weiteren ein Schloss samt Landbesitz in Belgien. Hinzu kamen Beteiligungen an Unternehmen durch Aktien und Gesellschaftsanteile.
„Ich … wusste von all dem nichts“, stammelte sie.
„Ihr Vater machte sich nicht viel aus Reichtümern“, erklärte Herr Julius. „Er traute den Banken nicht, darum hat er fast alles selbst angelegt, um den Besitz des Ordens sicher zu verwahren. Wofür er ein Talent hatte.“
„Nehmen Sie das Erbe ihres Vaters an?“, fragte Doktor Seewald.
Sophie nickte, musste das erst mal alles verdauen.
Der Verlesung folgte ihre Unterschrift, womit Sophie ihren neuen Lebensabschnitt besiegelte.
Gemeinsam mit Herrn Julius verließ sie die Kanzlei. Auf dem Weg zum Taxistand sprachen sie über das Video.
„Wissen Sie, ich denke auch nicht, dass es Herzversagen war“, meinte Julius. „Meines Wissens nach hatte er ein starkes Herz. Aber es wird schwierig sein, das Gegenteil zu beweisen.“
„Ich muss es versuchen.“ Sie gab sich kämpferisch. Innerlich zweifelte sie, da sie immer noch nicht wusste, wo sie mit der Suche beginnen sollte.
„Ich bewundere Ihren Mut, meine Liebe. Ihr Vater wäre, nein, er war schon zu Lebzeiten stolz auf Sie.“
„Ich kann das nicht beurteilen, ich habe ihn anscheinend niemals richtig kennengelernt.“
„Ihr Vater wollte Sie schützen. Nach Anais Tod waren Sie der einzige Sinn in seinem Leben, wofür zu kämpfen sich noch lohnte.“
„Was soll ich Ihrer Meinung nach tun?“
„Was Sie für richtig halten“, antwortete er. „Niemand zwingt Sie zu etwas. Johann und Wilhelm sind alt genug, auf sich aufzupassen und wenn Sie das Buch des Ordens ein für alle Mal schließen, wird Ihnen das niemand ankreiden.“
Den Orden auflösen? Das wäre, als würde sie das Grab ihres Vaters mit Füßen treten. Im Grunde hatte sie sich längst entschieden.
Sie erreichten den Taxistand. Herr Julius ließ es sich nicht nehmen, Sophie die Tür aufzuhalten. Er nannte dem Fahrer die Zielorte und bat ihn, die Dame zuerst nach Hause zu
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