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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Tempel.
    »Wegen mir nicht. Was tun Sie überhaupt da oben?«
    »Er wollte gerade das Morgengebet sprechen«, sagte Scheu.
    »Wollte er? Was ist mit dem anderen Gottesanbeter? Wie heißt er noch?«
    »Über den ist letzte Nacht die Herde hinweggetrampelt«, erklärte Corlin, ohne besonderes Gefühl auf diesen Umstand zu verschwenden.
    »Tja, das überstehen die wenigsten.« Süß griff in seine Satteltasche und zog eine halb volle Flasche daraus hervor. »Na schön, Rechtsverdreher, dann mal los.« Er gönnte sich einen langen Zug.
    Tempel seufzte und sah zu Scheu hinüber. Sie zuckte die Achseln und formte mit den Lippen das Wort »Viehtreiber«. Er seufzte wieder und wandte die Augen zum Himmel.
    »Gott«, begann er zum zweiten Mal. »Aus Gründen, die nur dir bekannt sind, hast du beschlossen, einige böse Menschen in die Welt zu setzen. Menschen, die eher etwas stehlen als etwas erschaffen würden. Die eher zerstören als anpflanzen. Menschen, die Dinge in Brand setzen, nur weil sie gern den Flammen zusehen. Ich weiß das. Ich bin einigen davon begegnet. Ich bin mit ihnen geritten.« Tempel sah kurz zu Boden. »Ich fürchte, ich war einer von ihnen.«
    »Oh, er ist gut«, raunte Süß und reichte Scheu die Flasche. Sie nippte leicht daran und achtete vorsichtig darauf, nur ein paar sehr kleine Schlucke zu nehmen.
    »Vielleicht erscheinen sie wie Ungeheuer, diese Leute.« Tempel hob die Stimme und senkte sie dann wieder, und seine Hände strichen durch die Luft, zupften und deuteten mal hierhin, mal dorthin, und Scheu musste zugeben, dass das ganz faszinierend wirkte. »Aber die Wahrheit ist, dass es keine Hexerei braucht, um Menschen schlimme Dinge tun zu lassen. Schlechte Gesellschaft. Schlechte Entscheidungen. Pech. Eine Portion Feigheit, die das übliche Maß übersteigt.« Scheu hielt Lamm die Flasche hin, aber der war so ergriffen von der Predigt, dass er das gar nicht mitbekam. Stattdessen griff Corlin zu.
    »Aber unter den hier Versammelten, die demütig um deinen Segen bitten, sind andere Menschen.« Und das waren nicht einmal wenige; die Menge wuchs ständig. »Nicht perfekt, nein, das sicher nicht. Sie haben alle ihre Fehler. Manche verschließen ihr Herz der Wohltätigkeit.« Hier warf Tempel Majud einen strengen Blick zu. »Manche sind vielleicht ein bisschen gierig.« Seine Augen wanderten zu Scheu … verdammt! Ganz kurz fühlte sie sich tatsächlich ein wenig beschämt, und dazu brauchte es schwere Geschütze.
    »Aber jeder dieser Menschen ist hierhergekommen, um etwas zu schaffen!« Eine Welle von Zustimmung schwappte über die Gemeinschaft, und die Köpfe wippten nickend auf und nieder. »Sie alle haben sich entschlossen, den schweren Weg anzutreten! Den richtigen Weg!« Er war wirklich gut. Scheu konnte gar nicht glauben, dass dieser Mann, der sich zehnmal am Tag über Staub beklagte, sein Herz auf eine Weise öffnete, als ob wirklich Gottes Wort in ihm war. »Um sich den Gefahren der Wildnis zu stellen, damit sie sich mit ihren eigenen Händen, mit ihrem Schweiß und ihren ehrlichen Mühen ein neues Leben aufbauen können!« Tempel breitete die Arme aus, um die Versammelten mit einer weiten Bewegung einzuschließen. »Diese Menschen hier sind das gute Volk, Gott! Deine Kinder, vor dir versammelt, hoffnungsvoll und standhaft! Schütze sie vor dem Sturm! Steh ihnen bei und hilf ihnen, die Herausforderungen zu meistern, an diesem und an allen anderen Tagen!«
    »Hurra!«, schrie der Idiot, sprang auf und stieß die Faust in die Luft. Er hatte sich bereits für den neuen Propheten entschieden; er schrie und zappelte und brüllte: »Das gute Volk! Das gute Volk!«, bis Corlin ihn zu fassen bekam und ihn zum Schweigen bringen konnte.
    »Gute Worte«, sagte Lamm, als Tempel vom Wagen heruntersprang. »Bei den Toten, das waren ein paar gute Worte.«
    »Zum größten Teil die eines anderen Mannes, wenn ich ehrlich bin.«
    »Na, du hast sie aber auf alle Fälle so vorgetragen, als würdest du sie glauben«, sagte Scheu.
    »Nach ein paar Tagen als Viehtreiber ganz hinten im Trupp glaubt man alles«, brummte er. Die Gemeinde zerstreute sich allmählich, man wandte sich den morgendlichen Aufgaben zu, und einige Leute bedankten sich im Gehen bei Tempel. Majud blieb zurück, die Lippen anerkennend aneinandergepresst.
    »Überzeugt?«, fragte Scheu.
    Der Kaufmann griff in seine Börse – was an sich schon an ein Wunder grenzte – und zog etwas hervor, das wie ein Zweimarkstück aussah. »Sie hätten bei den

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