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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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steinigen Weg. Der Gedanke machte ihn seltsam froh. Er half dem alten Mann auf die Beine. »Mein Zelt ist groß genug für zwei, wenn Sie mein Schnarchen ertragen können.«
    Lestek stand kurz schwankend da. »So viel Güte verdiene ich nicht.«
    Tempel zuckte die Achseln. »Ich auch nicht.«
    »Mein Junge«, murmelte der Schauspieler, öffnete die Arme, und Tränen schimmerten in seinen Augen.
    Dann kotzte er Tempels Hemd voll.
    Scheu runzelte die Stirn. Sie war sich sicher gewesen, dass Tempel auf dieses Packpferd steigen, ihr kindliches Vertrauen unter den Hufen zertrampeln und aus der Stadt reiten würde, um dann nie wieder etwas von sich hören zu lassen. Aber er hatte lediglich einem Mann eine Schaufel gegeben und sich dann von ihm verabschiedet. Dann hatte er irgendeinen vor Dreck strotzenden Besoffenen in den Rohbau von Majuds Haus geschleppt. Die Leute gaben einem doch immer wieder Rätsel auf, so viel stand mal fest.
    Sie war nachts jetzt häufig wach. Beobachtete die Straße. Vielleicht glaubte sie, so würde sie mitbekommen, wenn Cantliss in die Stadt reiten würde – nicht, dass sie auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt hätte, wie der Kerl aussah. Vielleicht glaubte sie auch, sie würde Pit und Ro dort entdecken, falls sie die beiden überhaupt noch wiedererkennen würde. Aber meistens grübelte sie nur. Über ihre Geschwister, über Lamm, über den Kampf, der bevorstand. Über Dinge und Orte und Gesichter, die sie lieber vergessen hätte.
    Jeg, den Hut fast über die Augen gezogen, wie er »Rauch? Rauch?« rief, und Dodd, wie er so überrascht war, dass sie auf ihn geschossen hatte, und dieser Kerl in der Bank, der so höflich sagte: »Tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht helfen«, mit diesem verblüfften kleinen Lächeln, als ob sie eine Dame sei, die sich nach einem Darlehen erkundigte, und keine Diebin, die ihn schließlich für nichts und wieder nichts ermorden sollte. Dieses Mädchen, das man an ihrer statt gehängt hatte, und deren Namen Scheu nie erfahren hatte. Wie sie da hing, mit dem Schild um ihren schiefen Hals und ihren toten Augen, in denen die Frage zu lesen war: Wieso ich und nicht du? Scheu hatte darauf noch immer keine Antwort.
    In diesen zähen, dunklen Stunden füllte sich ihr Kopf mit Zweifeln wie ein vergammeltes Ruderboot mit Moorwasser, es versank, versank, so wild sie auch schöpfte, und sie sah Lamm tot vor sich, als sei es schon passiert, und Pit und Ro, die irgendwo in der Fremde verfaulten, und sie fühlte sich wie eine Verräterin dafür, dass sie überhaupt diese Gedanken hatte, aber wie hielt man einen Gedanken auf, wenn er erst mal da war?
    Der Tod war das Einzige, was mit Sicherheit dort draußen wartete. Die einzige unverrückbare Tatsache unter all den Möglichkeiten und Risiken und Wetten und Wahrscheinlichkeiten. Lief, Buckhorms Söhne und die vielen Geister dort draußen auf der Großen Ebene. Männer, die in Knick bei Schlägereien starben, oder die aufgrund hauchdünner Beweise gehängt wurden oder am Fieber verreckten oder durch dumme Zufälle, wie der Treiber, dem gestern das Pferd seines Bruders mit den Hufen den Kopf zerschmettert hatte, oder der Schuhhändler, den man ertrunken in der Gosse gefunden hatte. Der Tod ging täglich unter ihnen um, und irgendwann würde er sie alle treffen.
    Hufschlag erscholl von der Straße, und Scheu machte einen langen Hals. Fackeln flackerten, und die Leute wichen auf die Veranden aus, um dem herumspritzenden Matsch eines Dutzends Reiter zu entgehen. Sie wandte sich um zu Lamm, ein großer Umriss unter einer Decke, in deren Falten die Schatten lagerten. Am oberen Ende sah sie sein Ohr herausschauen, samt der Kerbe darin. Nur so eben konnte sie sein sachtes, langsames Atmen hören.
    »Bist du wach?«
    Er machte einen längeren Atemzug. »Jetzt ja.«
    Die Männer zügelten ihre Pferde vor Hochwürdens Würfelkirche, und Fackelschein zuckte über ihre hart gezeichneten, hart gesottenen Gesichter, und Scheu wich vom Fenster zurück. Nicht Pit oder Ro, und auch nicht Cantliss. »Da sind neue Schläger für Hochwürden angekommen.«
    »Es sind überhaupt jede Menge Schlägertypen in der Stadt«, knurrte Lamm. »Da muss man kein Runenleser sein, um zu erkennen, dass Blutvergießen bevorsteht.«
    Unten hörte man die Reiter vorüberziehen, dann erscholl kurzes Gelächter, und eine Frau rief etwas, dann war es wieder still. Nur das Tapp-Tapp-Tapp der Hammerschläge drang vom Amphitheater herüber und erinnerte daran, dass die

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