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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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wird’s nicht mehr«, sagte Lamm.
    »Wir sollten einen Ausschuss bilden und ordentlich über ihn zu Gericht sitzen, jemanden fragen, der …«
    Lamm beugte sich vor. »Die einzige Frage ist, ob du mir im Weg stehen willst.« Der Wirt wich zurück, und Lamm zerrte den Jungen an ihm vorbei. Scheus Starre löste sich plötzlich, und sie rannte hinter ihnen her, vorbei an Lief, der mit offenem Mund in der Tür stand.
    Draußen hatte sich der Regen in ein stetiges Nieseln verwandelt. Lamm schleifte Rotschopf über die aufgeweichte Straße zu dem Torbogen aus verzogenen Holzbalken hinüber, an dem das Stadtschild hing. Er war hoch genug, dass man zu Pferd darunter hindurchreiten konnte. Oder um ohne Pferd hübsch daran zu baumeln.
    »Lamm!« Scheu sprang von der überdachten Veranda der Taverne herunter und versank bis zu den Knöcheln im Matsch. »Lamm!« Er wog das Seil in seiner Hand, dann warf er es über den Balken. »Lamm!« Mit Mühe bahnte sie sich einen Weg über die Straße, während der Schlamm sie an den Füßen festzuhalten suchte. Er fing das lose Ende des Seils, zog es straff, und der Rothaarige kam ins Stolpern, als der Knoten sich direkt unter seinem Kinn festzog, das aufgequollene Gesicht mit blödem Blick, als hätte er noch nicht ganz kapiert, wohin das alles führen sollte.
    »Haben wir noch nicht genug Gehängte gesehen?«, rief Scheu, die langsam näher kam. Lamm antwortete nicht, sah sie nicht an, sondern wand sich nur das lose Ende des Seils um den Unterarm.
    »Das ist nicht richtig«, sagte sie. Lamm schniefte und machte sich daran, den Jungen emporzuziehen. Doch Scheu packte das Ende des Seils, das um den Hals des Jungen geschlungen war, und machte sich mit dem Kurzschwert daran zu schaffen. Es war scharf. Keinen Augenblick später war das Seil durch.
    »Hau ab.«
    Der Junge sah sie blinzelnd an.
    »Hau ab, du blöder Idiot!« Sie trat ihm in den Hintern, und er taumelte ein paar Schritte und fiel dann vornüber in den Dreck, kam stolpernd wieder hoch und verschwand in der Dunkelheit, den Kragen aus Hanf noch um den Hals.
    Scheu drehte sich zu Lamm um. Er starrte sie an, das geklaute Schwert in der einen Hand, das lose Seil in der anderen. Fast schien es, als ob er sie gar nicht richtig sah. Fast so, als ob er gar nicht richtig er selbst war. Wie konnte das derselbe Mann sein, der sich über Ro gebeugt hatte, als sie das Fieber gepackt hielt, und der ihr etwas vorgesungen hatte? Zwar schlecht, aber er hatte gesungen, das Gesicht ganz und gar vor Sorge gefurcht. Jetzt sah sie in diese schwarzen Augen, und plötzlich fühlte sie Entsetzen in sich aufsteigen, als ob sie in bodenlose Leere blickte. Als stünde sie am Rand des großen Nichts. Es kostete sie jedes Quäntchen Mut, das sie hatte, nicht wegzulaufen.
    »Bring die drei Pferde hierher!«, fuhr sie Lief an, der auf die Veranda hinausgetreten war und Lamms Mantel und Hut in der Hand hielt. »Jetzt sofort!« Er gehorchte und lief los. Lamm stand nur da, starrte dem rothaarigen Jungen hinterher, und allmählich wusch der Regen das Blut von seinem Gesicht. Er packte den Sattelriemen, als Lief das größte Pferd zu ihm führte, und schwang sich hinauf, aber das Pferd scheute und schlug aus. Mit einem Stöhnen verlor Lamm den Halt und rutschte nach hinten, bekam im Fallen den leeren Steigbügel zu fassen und klatschte hart mit der Seite in den Dreck. Scheu kniete neben ihm, als er sich auf Händen und Knien aufrappelte.
    »Bist du verletzt?«
    Er sah zu ihr auf, und in seinen Augen standen Tränen. Er flüsterte. »Bei den Toten, Scheu. Bei den Toten.« Sie versuchte, ihn mit allen Kräften aufzurichten, was verdammt schwierig war, da er plötzlich schlaff wie ein Toter in ihren Armen hing. Als er endlich wieder stand, zog er sie an ihrem Umhang zu sich heran. »Versprich mir«, flüsterte er, »versprich mir, dass du dich mir nie wieder in den Weg stellst.«
    »Nein.« Sie legte ihm eine Hand auf die vernarbte Wange. »Ich werde dir aber jetzt den Zaum halten.« Das tat sie, am Kopf des Pferdes, dem sie beruhigende Worte zuraunte, während sie sich wünschte, dass es jemanden gäbe, der das mit ihr tat, während Lamm sich in den Sattel schwang, langsam und müde, mit zusammengebissenen Zähnen, als ob es ihn große Mühe kostete. Als er oben saß, sackte er in sich zusammen; die rechte Hand lag auf den Zügeln, mit der linken hielt er sich den Mantel am Hals zusammen. Er sah wieder aus wie ein alter Mann. Älter denn je. Ein alter Mann mit einer

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