Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
schrecklichen Last und vielen Sorgen auf den gebeugten Schultern.
    »Ist er in Ordnung?« Lief hob die Stimme zu kaum mehr als einem Flüstern, als habe er Angst, dass andere ihn hörten.
    »Ich weiß nicht«, antwortete Scheu. Lamm machte nicht einmal den Eindruck, als ob er hören könnte, er sah gequält zum schwarzen Horizont hinüber, der sich mittlerweile fast völlig mit dem schwarzen Himmel verbunden hatte.
    »Geht’s dir gut?«, flüsterte Lief nun ihr zu.
    »Weiß ich auch nicht.« Sie hatte das Gefühl, die ganze Welt sei auseinandergebrochen und weggespült worden, und sie trieb auf einem fremden Meer, weit draußen und weit ab vom Land. »Und dir?«
    Lief schüttelte nur den Kopf und sah mit großen, runden Augen auf den schlammigen Boden.
    »Am besten holen wir alles, was wir brauchen, vom Wagen und steigen auf, was?«
    »Was ist mit Scale und Calder?«
    »Die sind fertig, und wir müssen weiter. Lassen wir sie hier.«
    Der Wind trieb ihr den Regen ins Gesicht, und sie zog ihren Hut mit der Krempe weit nach unten, das Kinn entschlossen vorgereckt. Ihr Bruder und ihre Schwester, darauf wollte sie sich konzentrieren. Sie waren die Sterne, nach denen sie ihren Kurs bestimmte, zwei Lichtpunkte im Dunkel. Sie waren alles, was zählte.
    Und so trat sie ihrem Pferd die Hacken in die Weichen und führte ihre kleine Gruppe in die heraufziehende Nacht. Sie waren noch nicht weit gekommen, als Scheu über dem Wind Geräusche hörte und den Gang ihrer Pferde verlangsamte. Lamm wandte sein Tier und zog den Säbel. Einen alten Reitersäbel, lang und schwer, der auf einer Seite geschärft worden war.
    »Jemand folgt uns!« Lief fummelte mit seinem Bogen herum.
    »Leg das weg! Bei dem Licht erschießt du dich höchstens selbst. Oder schlimmer noch, mich.« Scheu hörte Hufschlag auf dem Pfad hinter ihnen und das Knirschen von Wagenrädern. Fackelschein schimmerte durch die Bäume. Kamen da Leute aus Averstock, um Jagd auf sie zu machen? War der Wirt doch fester entschlossen, Gerechtigkeit walten zu lassen, als er zunächst hatte vermuten lassen? Sie zog das Kurzschwert an seinem Horngriff hervor, und der letzte rote Schimmer Zwielicht fing sich auf dem Metall. Scheu wusste überhaupt nicht mehr, was sie erwarten sollte. Wenn Juvens höchstpersönlich aus dem Dunkel getrottet wäre, um ihnen einen guten Abend zu wünschen, hätte sie nur die Achseln gezuckt und gefragt, wo er hinwollte.
    »Haltet an!« Die Stimme war tiefer und rauer, als Scheu je gehört hatte. Das war nicht Juvens. Das war der Mann mit dem Pelz. Er kam jetzt in Sicht, wie er mit einer Fackel in der Hand heranritt. »Ich bin ein Freund!«, rief er und ließ sein Pferd im Schritt gehen.
    »Du bist kein Freund von mir«, erwiderte sie.
    »Dann sollte das vielleicht das Erste sein, was wir ändern.« Er fasste in eine Satteltasche, dann warf er Scheu eine halb volle Flasche zu. Hinter ihm näherte sich ein Wagen, der von zwei Pferden gezogen wurde. Die alte Geisterfrau hielt die Zügel. Ihr zerfurchtes Gesicht war so ausdruckslos wie im Gasthaus, eine angesengte alte Tschagga-Pfeife steckte zwischen ihren Zähnen, aber sie rauchte nicht, sondern kaute nur darauf herum.
    Sie alle saßen einen Augenblick in der Dunkelheit da, dann fragte Lamm: »Was wollt ihr?«
    Der Fremde hob langsam die Hand und schob den Hut in den Nacken. »Nicht nötig, noch mehr Blut zu vergießen, großer Mann, wir sind keine Feinde. Selbst wenn ich das gewesen wäre, dann würde ich diese Haltung inzwischen noch einmal gründlich überdenken. Wir wollen nur reden, das ist alles. Einen Vorschlag machen, der uns allen vielleicht nützlich sein kann.«
    »Dann sag dein Sprüchlein auf«, sagte Scheu, die den Korken mit den Zähnen aus der Flasche zog, ihr Schwert aber in Griffweite behielt.
    »Dann werde ich das tun. Mein Name ist Dab Süß.«
    »Was?«, fragte Lief. »Doch nicht der Kundschafter, von dem all diese Geschichten erzählt werden?«
    »Genau der. Das bin ich.«
    Scheu hielt mitten in einem Schluck inne. »Du bist Dab Süß? Der als Erster die Schwarzen Berge zu Gesicht bekam?« Sie gab Lamm die Flasche, der sie gleich an Lief weiterreichte. Der Junge nahm einen Schluck und hustete.
    Süß lachte leise. »Die Berge bekamen mich zuerst zu Gesicht, würde ich sagen, aber die Geister waren schon ein paar Hundert Jahre früher dort, und die Kaiserlichen vielleicht sogar noch früher, und wer weiß, was noch vor der Alten Zeit geschah? Wer kann in diesem Land schon sagen, wer

Weitere Kostenlose Bücher