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Blutklingen

Blutklingen

Titel: Blutklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Legende am Leben zu erhalten.
    Der rote Bär? Den hatte er mit einem Speer getötet, nicht mit bloßen Händen, und es war ein altes Tier gewesen, langsam und nicht besonders groß. Aber es war ein Bär gewesen, und er hatte ihn erlegt, insofern stimmte es. Wieso gaben sich die Leute nie mit so etwas zufrieden? Dab Süß hatte einen Bären erlegt! Aber nein, sie mussten die Geschichte jedes Mal wenn sie erzählt wurde, weiter aufblasen – erst die bloßen Hände, dann hatte er dabei noch eine Frau gerettet, dann wurden es gleich drei Bären –, bis er im Vergleich mit seiner eigenen Legende unweigerlich enttäuschen musste. Er lehnte sich mit verschränkten Armen gegen eine umgestürzte Säule und sah den Reiter im Galopp und ohne Sattel auf sie zukommen. Nach Geisterart. Süß fühlte ein bitteres, bitteres Brennen im Bauch.
    »Wer hat mich bloß als so bewundernswert dargestellt?«, brummte er. »Ich selbst jedenfalls nicht, das ist mal klar.«
    »Hm«, brummte Weinender Fels.
    »Ich habe in meinem ganzen Leben nie höhere Ziele verfolgt.«
    »Hm.«
    Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte er die Geschichten von Dab Süß gehört, die Daumen in seinen Gürtel geschoben und das Kinn in die Luft gereckt und selbst vorgemacht, dass sein Leben wirklich so verlaufen sei. Aber dann vergingen die Jahre mit all ihren Härten, und er wurde kleiner, während die Geschichten größer wurden, bis sie von einem Mann erzählten, den er nie getroffen hatte, und dem Dinge gelangen, an denen er sich nicht einmal versucht hatte. Manchmal berührten sie kleine Erinnerungssplitter an verrückte und verzweifelte Kämpfe oder an anstrengende Fahrten ins Nichts oder an zermürbende Reisen voll Hunger und Kälte, und er schüttelte den Kopf und fragte sich, welche verfluchte Alchemie diese ganz schlichten, zwangsläufigen Erlebnisse in edle Abenteuer verwandelt haben mochte.
    »Was haben sie davon?«, fragte er. »Ein paar Geschichten, zu denen sie mit dem Kopf nicken können. Was kriege ich? Nichts, wovon ich im Alter leben könnte, so viel steht mal fest. Nur einen abgewetzten Sattel und einen Sack voller Lügen anderer Leute, die ich mit mir herumschleppen muss.«
    »Hm«, sagte Weinender Fels, als sei das eben der Lauf der Dinge.
    »Das ist nicht fair. Das ist einfach nicht fair.«
    »Wieso sollte es fair sein?«
    Er brummte zustimmend. Er wurde nicht mehr alt. Er war alt. Wenn er aufwachte, schmerzten seine Beine, wenn er sich hinlegte, schmerzte seine Brust, und die Kälte drang ihm bis ins Mark. Wenn er die Tage betrachtete, die hinter ihm lagen, dann war ihm klar, dass ihre Zahl die jener, die er noch zu erleben hoffte, bei Weitem überstieg. Er fragte sich inzwischen immer öfter, wie viele Nächte er noch unter dem unbarmherzigen Himmel würde schlafen können, und trotzdem begegneten ihm die Menschen mit so viel Ehrfurcht, als sei er der große Juvens höchstpersönlich und könnte, wenn sie in eine echte Klemme geraten würden, einen Sturm in den Schlaf singen oder Geister mit Blitzen aus seinem Hintern erschlagen. Er hatte keine Blitze, er nicht, und manchmal, wenn er mit Majud gesprochen und dabei die Rolle des Allwissenden und vor nichts Zurückschreckenden besser gespielt hatte, als Iosiv Lestek das gekonnt hätte, stieg er danach mit zitternden Händen und trüben Augen auf sein Pferd und sagte zu Weinender Fels: »Ich hab’s nicht mehr drauf.« Und sie nickte, als sei das eben der Lauf der Dinge.
    »Ich war mal eine große Nummer, oder nicht?«, raunte er.
    »Du bist noch immer eine«, sagte Weinender Fels.
    »Aber was für eine?«
    Der Reiter verlangsamte in einiger Entfernung sein Tempo und sah misstrauisch wie ein erschreckter Hirsch zu Süß hinüber und zu Weinender Fels und zu den Ruinen, bei denen sie lagerten. Nach einer Weile schwang er ein Bein über den Sattel und ließ sich zu Boden gleiten.
    »Dab Süß«, sagte der Geist.
    »Lockweg«, sagte Süß. Er musste es sein. Er war einer von der neuen Art, immer ein wenig mürrisch; jemand, der stets nur in allem das Schlechte sah. »Wieso ist Sangied nicht da?«
    »Du kannst mit mir sprechen.«
    »Das kann ich, aber wieso sollte ich das tun?«
    Lockweg plusterte sich ein wenig auf, beleidigt und verstimmt, wie junge Menschen es immer sind. Süß war in seiner Jugend wahrscheinlich nicht anders gewesen. Eher noch schlimmer, aber trotzdem ging ihm dieses Gehabe inzwischen mächtig auf die Nerven. Er winkte den Geist zu sich heran. »Schon gut, schon gut, wir werden

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