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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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Nacht?
    Ohne sich Bedauern wegen des verschütteten Wassers zu gestatten, stopfte Anna rasch ihre Sachen, auch den Schlafsack, wild durcheinander in den Rucksack.
    Danach wandte sie sich der Höhle zu. Während ihrer Überlegungen und beim Packen hatte sie ihr kein einziges Mal den Rücken zugekehrt. Da sie keine Taschenlampe mehr besaß, hatte sie noch weniger als zuvor das Bedürfnis, das dunkle Loch zu erkunden. Aber es führte kein Weg daran vorbei. Wenn sie jetzt losmarschierte und Meldung machte, anstatt sich umzusehen, so gut sie konnte, würde sich die Untersuchung um mindestens vierundzwanzig Stunden verschieben.
    Also näherte sie sich der Felsspalte von der Seite und nahm dabei, für den Fall, dass plötzlich ein taktischer Rückzug nötig werden sollte, die Startposition eines Läufers ein. In der rechten Hand hielt sie die Dose mit dem Spray zur Abwehr von Bären, das sie immer am Gürtel hatte. Das Mittel bestand hauptsächlich aus Pfeffer. Sie wusste aus Erfahrung, dass es bei Menschen wirkte. In der Frage, ob auch Bären darauf ansprachen, musste sie sich auf die Angaben des Herstellers verlassen.
    Da die Sonne noch nicht hoch am Himmel stand, beleuchtete sie nicht etwa hilfreich den Höhleneingang, sondern sorgte dafür, dass ein schwarzer Schatten darüber lag. Anna ging ein Stück in die Hocke, steckte den Kopf unter den Felsvorsprung, lauschte, schnupperte und wartete, bis sich ihre Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten. Ihre Nase nahm die meisten Informationen auf. Es war eine ganze Reihe von vermischten, eigenartigen Aromen. Zuerst war da der vertraute Geruch von feuchten Felsen in einer ansonsten trockenen Landschaft. Wahrscheinlich war mehr als eine Sickerquelle an der Entstehung dieser Höhle beteiligt gewesen, auch wenn Anna klug genug war, sich kein fließendes Wasser zu erhoffen. Es waren die schwieriger auszumachenden, neuen Gerüche, die sie aufmerken ließen. Ein Hauch von Gas lag in der Luft. Vielleicht Butan. Dazu möglicherweise Kerosin und Wachs. Es konnte auch sein, dass sie nicht das Gas selbst roch. Es waren eher die Absonderungen von erhitztem Metall und gelöschten Dochten. Jemand hatte eine oder mehrere Nächte hier verbracht. Und dieser Jemand war bereit gewesen, Anna mit einem Felsen zu erschlagen, um sein Territorium zu verteidigen.
    Obwohl der Vormittag bis jetzt ereignislos verlaufen war, trieb die Erinnerung an den Felsen sie zur Eile an. Ihrer Vermutung nach war der Steinewälzer und Gesichtsfilettierer weitergezogen und während der Zeit, die sie in ihrer Felsspalte gekauert hatte, nicht untätig gewesen, um alle seine Spuren aus der Höhle zu entfernen. Dennoch bestand die Möglichkeit, dass er zurückkehrte. Zum Beispiel in der Absicht, sie zu ermorden.
    Anna schnupperte wieder. Ein Hauch von Lebensmitteln. Aber da war noch etwas anderes. Es war ein ausgesprochen vertrauter Geruch, den sie jedoch nicht einordnen konnte. Süßlich. Heu? Staubiger und matter. Anna gab es auf. Inzwischen hatten sich ihre Augen angepasst. Die Höhle entsprach mehr oder weniger dem, was sie sich ausgemalt hatte: niedrig, nicht verwinkelt, ein muschelförmiges Loch im Berg, ohne Gänge oder Unterteilungen. Sie war höchstens einen Meter zwanzig hoch. Im schwachen Licht, das von außen hereinfiel, sah Anna sich rasch um. Auf einem schmalen Sims entdeckte sie Kerzenwachs. Mehr nicht. Die Höhle war säuberlich ausgeräumt und gefegt worden. Als sie sich zu dem halbmondförmigen Lichtkegel umdrehte, bemerkte sie ihre eigenen Fußabdrücke auf einer Fläche, die mit den winzigen Rillen, erzeugt von einem als Besen benutzten Fichtenzweig, bedeckt war.
    Anna untersuchte die gefegte Erde und stieß auf eine halbe Erdnuss, ein Fünf-Cent-Stück und etwas, das wie ein Stück Hundekuchen aussah. Sie schnupperte daran und hatte die Quelle des geheimnisvollen süßlichen, heuähnlichen, staubigen, abgestandenen Geruchs gefunden. Anna war entsetzt, musste dann aber laut auflachen und erschrak über ihr eigenes Geräusch. Warum war sie empört, weil ein Mensch, der keine Skrupel hatte, zu morden, die atemberaubende Frechheit besaß, einen Hund in einen Nationalpark mitzubringen? Falls sie den Kerl je in die Finger bekamen, würde sie Harry bitten, ihn nicht nur wegen vorsätzlichen Mordes, sondern zudem wegen Laufenlassens eines nicht angeleinten Hundes vor den Kadi zu zerren.
    Da die Asservatenbeutel wie die Filme, das Funkgerät, das Wasser und ihre Notizen gestohlen worden waren, verstaute Anna

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