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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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Erdnuss, Münze und Hundekuchen ordentlich in ihrer Hemdtasche. Sie war fest entschlossen, nicht mit leeren Händen vom Cathedral Peak zurückzukehren.
    Der Weg zum Highline Trail nahm über drei Stunden in Anspruch. Das Wissen, dass sie kein Wasser bei sich hatte, steigerte Annas Durst noch. Obwohl ihr klar war, dass sie nicht in Lebensgefahr schwebte und im Fifty Mountain Camp sicher jemanden finden würde, der bereit war, ihr eine Filterpumpe zu leihen, besserte sich ihr Missempfinden nicht. So viel zum Thema Herrschaft des Geistes über den Körper.
    Auf dem Highline Trail hatte sie das Glück, zwei Frauen zu begegnen, die von der Going to the Sun Road kamen. Zum ersten Mal im Leben wünschte Anna, sie hätte Kinder gehabt, um ihr Erstgeborenes gegen einen Schluck Wasser eintauschen zu können. Allerdings waren die beiden Touristinnen nicht so anspruchsvoll und freuten sich über die Gelegenheit, eine Parkpolizistin zu retten.
    »Trinken Sie nur, so viel Sie wollen«, meinte die breithüftige Blondine, die wunderschöne Augen und einen schlimmen Sonnenbrand an den Wangen hatte. »Wir können am nächsten Bach nachtanken.«
    Anna nahm das Angebot an und marschierte, nachdem ihr Durst gelöscht war, neben ihnen den Berg hinunter zum Flattop Mountain. Die Frauen, die aus Oberlin, Ohio, stammten, waren Anna sympathisch. Seit sieben Jahren wanderten sie jedes Jahr mit ihren Rucksäcken durch einen anderen Nationalpark. Wie sie ihr erzählten, sammelten sie Geschichten und Fotos. Zur Wintertagundnachtgleiche veranstalteten sie dann ein Erinnerungsfest und ließen ihre Abenteuer des letzten Jahres noch einmal Revue passieren.
    »Und jetzt haben wir Sie«, meinte die Blondine. Anna musste gute Miene zum bösen Spiel machen – schließlich hatten sie ihr Wasser gegeben – und sich fotografieren lassen, um eine Geschichte zu illustrieren, die vermutlich den Titel »Die dämliche Parkpolizistin« tragen würde.
    »Das waren heute schon zwei gute Geschichten«, fügte die andere Frau hinzu. Emma oder Ella – Anna war zu sehr mit Schlucken beschäftigt gewesen, als die zwei sich ihr vorgestellt hatten, und hatte es deshalb nicht richtig verstanden. Sie war die Ältere der beiden, in ihren Dreißigern mit pechschwarzem Haar, das sie so kurz geschnitten trug wie ein Mann. In einem Nasenflügel hatte sie einen winzigen Diamanten, der in der Sonne funkelte, wenn sie redete. »Vor einer Weile haben wir eine Rast eingelegt, um etwas zu essen. Wir gehen gern querfeldein, nicht nur ein paar Meter, sondern einen knappen Kilometer oder so, um wirklich hier zu sein«, erklärte sie Anna, während der Diamant verschwörerisch zwinkerte. »Wir haben uns durch ein Gebüsch gekämpft, hinter dem eine hübsche kleine Lichtung mit einer malerischen Aussicht lag. Als wir ankamen, saß da ein Junge. Ein Junge, ganz allein auf einem Felsvorsprung und heulte sich die Augen aus. Er hat bitterlich geweint. Wie seltsam.«
    »Das ist eine Geschichte«, verkündete die Blondine vergnügt. »Das heißt, natürlich tut es mir leid, das er geweint hat. Er schien wirklich ein netter Junge zu sein. Aber Sie müssen zugeben, dass es trotzdem eine tolle Geschichte ist.«
    »Allerdings kein Foto«, ergänzte die Frau, die möglicherweise Emma hieß.
    »Vielleicht hat er sich geschämt.« Anna war ihre eigene Rolle in einer möglichen Geschichte ebenfalls ein wenig peinlich.
    »Oh, wir haben ihm nicht die Kamera ins verweinte Gesicht gehalten wie irgendeine durchgeknallte Reporterin«, meinte die Blondine. »Wir hinterlassen nämlich nicht gerne Spuren. Nicht einmal Fußabdrücke.«
    »Vor allem nicht auf den Gesichtern anderer Leute«, fügte die andere Frau hinzu und lachte, ein rauchiges Nachtklublachen, das Anna ansteckend fand. »Er war wirklich ausgesprochen unglücklich. Wir haben versucht, mit ihm zu reden, aber er war nicht sehr gesprächig. Die Tränen versiegten, sobald er uns sah. Ein reizender Junge.«
    »Bis wir die Kamera herausgeholt haben. Da wurde er Mr Spinner.«
    Allmählich weckte die Geschichte Annas Interesse. »Wie sah er denn aus?«, fragte sie.
    »Etwa einsfünfundsiebzig. Jung, sehr jung. Viel zu jung, um ohne seine Momma unterwegs zu sein. Er war höchstens fünfzehn oder sechzehn. Was meinst du, Emma? Fünfzehn?«
    »So ungefähr«, bestätigte Emma.
    »Sehr weiches braunes Haar. Ein bisschen gewellt. Große haselnussbraune Augen mit Wimpern bis hier.« Die Blondine hielt einen pummeligen, mit abblätterndem burgunderroten

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