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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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Untergebenen mit blühender Fantasie oder einem Hang zur Romantik.
    Anna hatte mit dem Gedanken gespielt, die Angelegenheit für sich zu behalten, weil sie nicht von Bedeutung war und ihrer Glaubwürdigkeit schadete. Die Entscheidung, sie zu erwähnen, traf sie erst, als ihr einfiel, dass etwas Ähnliches schon einmal geschehen war. Zumindest möglicherweise.
    »Erinnern Sie sich noch an Rory und seine wilde Geschichte mit der Wasserflasche?«, fragte sie. »Er hat seine Version zwar inzwischen geändert, aber ursprünglich lautete sie, er habe sich ohne Flasche schlafen gelegt und beim Aufwachen eine neben sich vorgefunden.«
    »Richtig, und zwar eine, die mit den Fingerabdrücken seiner ermordeten Stiefmutter bedeckt war«, entgegnete Harry in Unheil verkündendem Ton.
    Im kalten Licht der Vernunft betrachtet, erschien einem die Vorstellung von einem guten Bärengeist, der verlorene Seelen mit Trinkwasser versorgte, ziemlich absurd.
    »Nur so ein Gedanke«, meinte Anna und beließ es dabei.
    »Und der Typ, der Ihnen das Wasser gebracht hat, hat auf Sie geschossen?«, hakte Ruick zweifelnd nach.
    »Ja.« Anna hatte es bereits ausführlich erklärt. Harry war genauso ratlos wie sie.
    »Sind Sie sicher? Haben Sie die Waffe gesehen?«
    »Ich habe den Schuss gehört.«
    Harry Ruick trommelte mit den Fingern auf die Schreibtischunterlage und blickte aus dem Fenster. »Bevor der Felsen gerollt wurde oder danach?«
    »Danach«, erwiderte Anna. »Währenddessen.«
    »Also fiel der Schuss zur gleichen Zeit, als der Felsen krachend den Berg hinunterstürzte?«
    »Richtig.« Anna ahnte bereits, wo der Felsen, den Harry gerade rollte, ebenfalls begleitet von einem Krachen, landen würde. Aber sie war machtlos dagegen. Es gelang ihr nicht einmal, es ihm zum Vorwurf zu machen. Seit dem Mord waren neun Tage vergangen. Die Spuren waren erkaltet. Ihre wenigen Zeugen hatten sich in alle Winde verstreut. Es gab keine Verdächtigen bis auf Bill McCaskil, und die Beweise gegen ihn standen auf tönernen Füßen. Deshalb versuchte Harry, sich gegen Gründe abzusichern, die ihn dazu zwingen würden, seine ohnehin schon dünne Personaldecke weiter zu strapazieren, indem er seine Leute von ihren eigentlichen Pflichten abzog und sie sinnlos auf den Cathedral Peak hetzte.
    »Also hätte das Geräusch auch von etwas anderem stammen können«, verkündete er, wie Anna vorausgesehen hatte. »Vielleicht hat der Felsen ja ein paar kleinere Gesteinsbrocken zertrümmert oder einen Ast abgeknickt. Das kann wie ein Schuss klingen.«
    »Durchaus möglich«, stimmte Anna zu. Harry bedachte sie mit einem Blick, in dem sie etwas Entschuldigendes zu erkennen glaubte.
    »Könnten Sie sich, was den Punkt angeht, ob eine Person den Felsen hinuntergestoßen hat, nicht auch geirrt haben?«, fragte er dennoch. »Ist er möglicherweise versehentlich ins Rutschen geraten, weil sich jemand dahinter versteckt und ihn dabei gelockert hat?«
    Anna überlegte einen Moment. »Nein«, antwortete sie schließlich. »Er wurde gestoßen.«
    »Okay.« Zu Annas Erleichterung zweifelte Harry nicht an dieser Äußerung.
    Während sie beobachtete, wie die Sonnenstrahlen ihre Oberschenkel hinaufkrochen, betrachtete Harry das Kommen und Gehen der Wartungsfahrzeuge vor den Gebäuden am Ende der Straße hinter dem Parkplatz.
    »Wir sind mehr oder weniger am Ende unserer Ermittlungen angelangt«, meinte er schließlich. Anna wurde klar, dass sie auf die unterschwelligen Vorwürfe gewartet hatte, mit denen Kleingeister den schwer nachzuweisenden Prozess einleiten, sich zu entlasten, indem sie anderen die Schuld zuschoben. Doch Ruick war kein Kleingeist.
    »Wir haben nicht viel in der Hand«, fuhr er fort. »Ich stimme Ihnen zu, dass Les vermutlich aus dem Schneider ist. Sein Motiv, selbst wenn seine bessere Hälfte ihm ihre Affäre mit McCaskil unter die Nase gerieben hat, ist zu abgenützt. Les hat so etwas schon zu oft mitgemacht. Und falls Mrs Van Slykes letzter Seitensprung der Tropfen gewesen wäre, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat, hätte Les sich einfach den nächstbesten Stein gegriffen. Bei einem Verbrechen aus Leidenschaft wäre Les aller Wahrscheinlichkeit nach bei der Leiche geblieben und hätte dem Ersten, der vorbeigekommen wäre, das Verbrechen gestanden. Niemals hätte er den Film gestohlen, die Leiche bewegt, sie geschändet und das Fleisch versteckt.«
    »Bis Rory fertig ist, bleibt er in einem Motel«, sagte Anna, nur um etwas beizutragen.
    »Gott sei Dank.

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