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Blutköder

Blutköder

Titel: Blutköder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nevada Barr
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ertappt zu werden. Kopien der Formulare vom Typ 10-343 und 10-344 – Berichte über Zwischenfälle beziehungsweise Straftaten – waren neben dem Computer gestapelt. Offenbar war Harry Ruick ein praktisch veranlagter Mensch, der sich trotz seiner hohen Position lieber persönlich mit den Meldungen aus dem Park befasste.
    Die Durchsicht der Unterlagen vermittelte Anna ein buntes Potpourri der im Glacier National Park derzeit beliebten Regelverstöße. In aller Seelenruhe studierte sie die Texte, die unerlaubte Müllentsorgung, illegale Lagerfeuer, einen vom Rangerstützpunkt in Polebridge abgeschleppten Pferdetransporter, zwei kürzlich im nordwestlichen Sektor des Flattop Mountain wieder in Betrieb genommene Feuerstellen, minderschweren Diebstahl auf dem Zeltplatz und die unsachgemäße Aufbewahrung von Lebensmitteln behandelten. Sie war nun schon zu lange Parkpolizistin, um solchen Kleinigkeiten keine Bedeutung beizumessen. Immer wieder wurden Schwerverbrecher nur deshalb dingfest gemacht, weil sie Geschwindigkeitsbegrenzungen missachteten, Abfälle aus dem Autofenster warfen oder vor Feuerhydranten parkten. Anders als im Film konnte man für gewöhnlich davon ausgehen, dass sich Verbrecher achtlos verhielten. Dahinter verbarg sich eine gewisse Logik. Welcher Mensch war zu Raub, Mord oder schwerer Sachbeschädigung bereit, wenn er schon bei einem defekten Rücklicht Skrupel bekam?
    Nach den Zwischenfällen wandte Anna sich den Straftaten zu. Aber sie konnte auf den Seiten nichts entdecken, was ihr ins Auge gestochen wäre. Es waren die üblichen Banalitäten: Fahren unter Alkoholeinfluss, Haschischkonsum auf dem Zeltplatz. Einmal Autodiebstahl und einmal Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen – beides angeblich begangen von Mitarbeitern im Park tätiger Fremdfirmen.
    Der einzig interessante Bericht – und das auch nur, weil er mehrere Male im Funk erwähnt worden war – drehte sich um den im nördlichen Teil des Parks entdeckten Pferdetransporter. Anna blätterte zurück, bis sie ihn gefunden hatte, und las ihn noch einmal. Der blaue Ford Pick-up mit Kennzeichen aus Florida hatte, die Fahrspuren schlecht mit Gestrüpp getarnt, abseits der Straße geparkt. Versicherungsschein und Zulassung fehlten. An den Wagen war ein alter Pferdetransporter ohne Kennzeichen gekoppelt. Er war ausgeschlachtet worden, offenbar, um etwas anderes als ein Pferd darin unterzubringen. Man hatte Drogenhunde eingesetzt. Ohne Ergebnis. Halter des Pick-ups war ein Carl G. Micou, wohnhaft in Tampa, Florida. Die Kennzeichen waren überprüft worden: weder Haftbefehl noch Strafanzeige. Man hatte zwar Mr Micous Adresse ermittelt, aber die Telefonnummer war außer Betrieb, eine neue nirgendwo verzeichnet. Die alte Nummer gehörte zu einer Firma namens Fetterman’s Abenteuerwelt am Highway 41, unweit von Tampa. Etwa um dieselbe Zeit, als das Telefon abgeschaltet worden war, hatte Fetterman’s den Betrieb eingestellt.
    Seltsam, aber nicht sehr aufschlussreich. Anna legte den Bericht zurück an seinen Platz und sah sich nach einem anderen Zeitvertreib um. Maryannes Computer stellte keine sehr große Versuchung dar. Anna war nämlich überzeugt, dass Computer es wie Pferde rochen, wenn jemand Angst vor ihnen hatte, und sich bei falscher Behandlung nach Kräften wehrten.
    Im Ausgangskorb leuchtete ihr eine braune Aktenmappe mit der Aufschrift »C. Van Slyke« entgegen. Darin befanden sich die Notizen, die Harry sich während der Vernehmung von Les Van Slyke gemacht hatte und die Anna bereits in Kopie vorlagen. Außerdem stieß sie auf die Abschrift ihres Tonbandmitschnitts der Befragung von Rory und war von Maryannes Tüchtigkeit beeindruckt. Die übrigen Papiere waren ihr unbekannt. Die Sekretärin hatte die von einer Büroklammer zusammengehaltenen Seiten mit einem Post-it-Etikett versehen, auf dem »An A. Pigeon weiterleiten« stand. Anna fühlte sich wie eine Versagerin. Zu Hause im Natchez Trace Parkway gelang es ihr nicht einmal bei ihren eigenen Untergebenen den Grad von Zusammenarbeit zu erwirken, den sie hier im Glacier-Park ganz selbstverständlich erfuhr.
    Der Laborbericht der kriminaltechnischen Untersuchung der Wasserflasche, die Rory nach seiner ungeplanten Wanderung bei sich gehabt hatte, war eingetroffen. Bei dem vom Glacier National Park beauftragten Labor handelte es sich um das Montana State Lab in Missoula.
    Seit Harry die Flasche dorthin geschickt hatte, waren keine vierundzwanzig Stunden vergangen. Anna war erstaunt,

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