Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
ihnen Mittel zur Schmerzlinderung an, solche Sachen. Es ist eine Berufung, und es ist etwas, worin ich gut bin.«
»Sind sie alle alt?«, fragte er.
»Hauptsächlich«, räumte ich ein. »Obwohl, einen Patienten habe ich, der nur ein paar Jahre älter ist als ich. Mr Sterling hatte an Heiligabend einen Motorradunfall, und seitdem ist er nicht wieder aufgewacht. Er war Konzertpianist, also spielen wir die ganze Zeit Musik für ihn.«
In dem Moment, als ich den Namen erwähnte, horchte Criminy auf und wandte mir seine ganze Aufmerksamkeit zu. »Dein Mr Sterling«, fragte er. »Wie ist sein Vorname?«
»Jason«, antwortete ich leise. »Jason Casper Sterling.« Der Gedanke an ihn machte mich immer ein wenig traurig.
Criminy starrte in den Sonnenuntergang, mit geschürzten Lippen, und trommelte mit den Fingern auf sein Knie. Ich beobachtete ihn und fragte mich, ob ich je herausfinden würde, was hinter diesen unergründlichen Augen vorging. Schließlich meinte er: »Du musst hungrig sein, meine Liebe. Gehen wir zum Abendessen?«
Er stand auf und streckte die Hand aus, und ohne darüber nachzudenken, ergriff ich sie. Langsam, Seite an Seite, gingen wir zum Wagenzug zurück, schweigend. Ich hatte das Gefühl, zu viel sei gesagt worden, aber gleichzeitig vermutete ich, dass er das Gefühl hatte, es sei zu wenig gesagt worden. Keiner von uns hatte die Frage angesprochen, was heute Nacht passieren würde, wenn ich einschlief. Würde ich nichtssagende Träume über vergessene Prüfungen und »Durch-die-Luft-fliegen« haben, oder würde ich in meiner anderen Welt aufwachen, meiner Großmutter Frühstück machen und zur Arbeit gehen, während mein Körper hier schlief, empfindungslos und reglos?
Oh, und dann war da noch ein Gedanke – ein unheimlicher Gedanke. Wenn mein Körper hier war und schlief, während ich in meiner eigenen Welt lebte, dann würde ich zutiefst verwundbar sein. Jedermann konnte alles Mögliche mit meinem armen Körper anstellen, und wie es aussah, würde ich dabei wohl nicht mal aufwachen.
»Du sagtest, ich würde ein Uhrwerk als Wache bekommen, nicht wahr?«, fragte ich nervös.
»Murdoch arbeitet schon den ganzen Tag daran«, bestätigte er. »Magst du Schlangen?«
»Ich kenne keine persönlich«, antwortete ich langsam, dann: »Warte – mein Uhrwerk ist eine Schlange?«
»Affen sind kompliziert«, sagte er. »Einen zu bauen, dauert länger als einen Tag. Sie haben eine eigene Persönlichkeit, weißt du. Aber eine Schlange ist flexibel, schnell, und ein guter Beschützer.«
»Bitte sag mir, es ist keine riesige Boa constrictor«, bat ich.
Ich beäugte Herrn Sigebert, einen riesigen Uhrwerkbären, der mit Bällen jonglierte und gleichzeitig auf einem Einrad fuhr. Er hatte die Statur eines Eisbären, aber um die Augen Kupfermarkierungen wie ein Panda. Zusammen mit all den anderen Uhrwerktieren war auch er aus seinem Wagen gekommen, um sich ölen und polieren zu lassen. Wir waren schon an einer Messinggiraffe vorbeigekommen, die einen bizarren Verrenkungstanz vollführt hatte, und danach an einem Strauß in Schwarz und Silber, der zuerst ein goldenes Ei gelegt und es dann gefressen hatte. Die Kreaturen waren überraschend realistisch, schön und mehr als nur ein wenig unheimlich, mit sanft glühenden Augen, die sogar blinzelten.
»Nein, dein Uhrwerk wird etwas Kleines. Du könntest nichts damit anfangen, wenn es nicht elegant wäre.«
»Das klingt gar nicht so schlimm«, meinte ich.
»Du machst dir Sorgen um deinen Körper, nicht wahr? Was damit passieren könnte, während du weg bist?«, fragte er leise.
»Mir könnte alles Mögliche passieren«, gab ich zurück. »Und ich würde es vielleicht nie erfahren.«
»Aber es wird nichts passieren. Ich werde da sein, heute Nacht. Ich selbst werde über dich wachen. Bis wir Genaueres darüber wissen, wie es funktioniert.«
»Ich will nicht undankbar erscheinen …«, begann ich, und fuhr mit der Hand an einem königsblauen Wagen entlang, auf dem eine hellere, noch grünere Version des Echsenjungen aufgemalt war. Ich hatte nicht wirklich die Worte, weiterzureden.
»Aber du machst dir Sorgen darüber, dass du deinen besinnungslosen Körper in einen Wagen mit einem Kerl einschließt, von dem du weißt, dass er ein Mörder ist, und fürchtest, dass er auch noch ein Wüstling sein könnte?«
»So könnte man es ausdrücken.«
»Gibt es denn jemand anderen, der dir lieber wäre?« Sein Tonfall war zurückhaltend, aber ich hörte die Herausforderung
Weitere Kostenlose Bücher