Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
machen und sie mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Ich lebe nach meinen eigenen Regeln. Und das kannst du auch.«
»Und wie?«
»Du hast hier eine Gabe, und eine seltene dazu. Das verleiht dir Macht und, solange du mit mir reist, Ansehen. Du wirst alles haben, was du brauchst, du wirst nicht hungern. Das ist eine Menge mehr, als die meisten Leute von sich sagen können. Und zur Hölle, Mäuschen, vielleicht wirst du lernen, mich zu lieben. Vielleicht auch nicht. Aber welche Frau, egal in welcher Welt, würde nicht sonstwas geben, um die Liebe eines guten Mannes zu erlangen?«
»Du bist ein guter Mann?«, fragte ich, die Augenbrauen überrascht hochgezogen.
»Kommt auf die Kriterien an«, meinte er mit einem Grinsen. Dann senkte er den Blick und fuhr ernsthafter fort: »Aber ich warte schon lange Zeit auf dich. Ob du es glaubst oder nicht, eines Tages wirst du entdecken, dass wir zwei Hälften eines Ganzen sind. Ich muss nur zusehen, dass du lange genug in meiner Nähe und am Leben bleibst, um es herauszufinden.«
»Lass mich raten: Du denkst, wir leben glücklich bis an unser Lebensende, wie in irgend so einem dummen Märchen?«
»Warum nicht?« Sein unbewegter Blick forderte mich heraus, zu lachen oder, noch schlimmer, mit ihm zu streiten.
»Weil das Ganze lächerlich ist«, sagte ich. Ich hasste die Bitterkeit in meiner Stimme. Ich klang so verletzt. Gut . Wenn er mich aus irgendeinem mysteriösen Grund, den er nicht verraten wollte, für seine Seelengefährtin hielt, sollte er auch das Schlechteste von mir kennenlernen.
»Für mich ist es nicht lächerlich. Vielleicht ist das der Unterschied zwischen Raubtier und Beute, Liebes. Ich werde nie aufhören, zu jagen. Aber ich rechne damit, dass du eines Tages aufhörst, davonzulaufen.«
»Weil ich sterben will?«
»Weil du leben willst.«
Ich starrte ihn an und versuchte, das Monster in dem Mann zu erkennen. Er sah so zuversichtlich und anmutig aus, selbst jetzt, wie er so im Gras hockte. In seinem Grinsen mischte sich Düsternis mit Humor, Hunger mit Verheißung. Irgendetwas in mir sehnte sich nach ihm, das schon. Aber was sah er in mir? Ich war verwirrt, stur, unhöflich, naiv und misstrauisch. Ich befand mich in einem Spagat zwischen zwei Welten, und es wurde zunehmend schwieriger, Tish und Letitia auseinanderzuhalten. Ich hatte eben erst gelernt, mich als etwas anderes zu sehen als das, was Jeff aus mir gemacht hatte. Gefangen zwischen Sang und meinem anderen Leben – was für eine Art Mensch würde da aus mir werden?
Und außerdem – ich hatte Criminy nicht erzählt, was ich gesehen hatte, als meine Hand seine Haut berührte, die Vision unserer Zukunft, meines endgültigen Schicksals. Meines Untergangs.
Ich schauderte unwillkürlich und starrte in die Ferne.
In zwei Welten hatte ich nur eine Zukunft gesehen. Und ich wusste beim besten Willen nicht, wie ich sie aufhalten sollte.
9.
S o saßen wir im Gras, während die Sonne des Nachmittags übers Moor schlich. Wir saßen nur knapp einen Meter auseinander und waren doch meilenweit voneinander entfernt. Ich hatte nach mehr Häschen getreten, als ich zählen konnte. Das letzte war ganz unverfroren über einen benommenen Artgenossen gehoppelt, um an meinem Schnürsenkel zu knabbern. Ich packte es an den Löffeln und schleuderte es mit einem wilden Aufschrei in Richtung der pinkfarbenen Wolken.
»Gibt es in dieser Welt denn nichts, das ist, was es zu sein scheint?«, fragte ich. »Ist denn gar nichts einfach?«
»Soweit ich weiß, nicht«, antwortete er. »Aber du musst zugeben, es ist farbenfroh.«
»Farbenfroh ist ja gut und schön, aber einfach wäre mir lieber.«
»Wenn etwas einfach ist, ist es nichts wert«, sagte er. »Das solltest du wissen. Ist deine andere Welt denn einfach?«
»Meistens schon«, musste ich zugeben.
»Hast du einen Beruf, oder wohnst du bei deiner Großmutter?«
»Ich bin Krankenschwester«, antwortete ich grantig. »Ich helfe kranken Menschen.«
»Dann kannst du also Krankheiten aufhalten?«, wollte er wissen.
»Nicht wirklich. Meist helfe ich Leuten, die bald sterben werden und versuche, ihnen ihre letzten Tage so angenehm wie möglich zu machen.«
»Du hilfst Menschen beim Sterben«, grübelte er. »Das klingt ziemlich unheimlich, und das sagt dir jemand, der Blut trinkt.«
»So ist es aber nicht«, blaffte ich. »Ich helfe Leuten dabei, ihr Leben in Würde zu beenden, in ihrem eigenen Zuhause, nach ihren eigenen Vorstellungen. Ich wechsle Verbände, biete
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