Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
aufgrund seines guten Geschmacks.
Nachdem meine Arbeit getan war, überließ ich widerstrebend diese Version von Mr Sterling seinem komfortablen, langsamen Sterben. Vorausgesetzt, er fing sich nicht eine Infektion ein, konnte er noch dreißig Jahre lang so existieren.
Und bisher hatte ich noch keine Anzeichen von wundgelegenen Stellen gesehen. Aber ich musste unwillkürlich schaudern, wenn ich daran dachte, wie sein Körper dalag, in dem stillen Haus, und langsam vor sich hin starb, während sein Cousin ein paar Türen weiter Tonleitern übte.
***
»Wo bist du gerade, Süße?«, fragte mich Nana, als ich am Abend ihr Geschirr spülte. Ich träumte mit offenen Augen von Sang, während ich ihren bereits blitzsauberen Teller schrubbte.
»Ich bin hier«, antwortete ich. »Bin nur gerade in Gedanken.«
»Hast du dir einen Liebhaber geangelt?«, fragte sie weiter. »Ich erkenne eine schmachtende Maid, wenn ich eine sehe, das weißt du.«
»Vielleicht«, gab ich zurück. Ich konnte vielleicht die Organisatorin eines Hausflohmarktes belügen, aber bei Nana würde ich das nicht mal versuchen.
»Nun, wenn er gut genug für dich ist, dann bring ihn auf jeden Fall mal mit, ja?«, meinte sie und wedelte mit dem alten Staubwedel in meine Richtung. »Ein guter Junge besucht immer die Verwandten. Das ist Anstand.«
»Ich weiß nicht, ob was Ernstes daraus wird«, meinte ich nachdenklich. »Es ist eine Fernbeziehung.«
Und das stimmte. Eine Fernbeziehung waren sie beide.
»Wenn er deine Zeit wert ist, dann kaufe ich dem Burschen ein Flugticket«, sagte sie. »Du weißt, wie es mit deinem Großvater und mir war. Das erste Mal, als ich ihn gesehen hab, das war, als hätte mich ein Laster mit Wassermelonen gestreift. Fünfzig Jahre verheiratet, und wir waren immer noch ineinander verliebt, als ich ihn verloren habe.« Sie seufzte wehmütig und schaute auf das Bild am Kamin, das Großvater in seiner Richterrobe zeigte. »Hör auf mich, Süße. Hör auf deinen Bauch.«
»Ja, Ma’am,«, sagte ich automatisch, und sie nickte weise. Sie hatte keine Ahnung, was in meinem Bauch vorging – und ich auch nicht.
Eigentlich waren all meine Wahlmöglichkeiten ziemlich schwer verdaulich.
11
I n jener Nacht ging ich früh zu Bett. Nur für den Fall, dass es eine Rolle spielte, kämmte ich mir die Haare, wusch mir das Gesicht und reinigte meine Zähne mit Zahnseide. Dann krabbelte ich ins Bett und schloss die Augen, das Medaillon fest umklammert. Ich war nervös und aufgeregt, und wenn ich jemand anders gewesen wäre, hätte ich wahrscheinlich Probleme gehabt einzuschlafen.
Aber ich bin eben ich, und so war ich im Nu eingeschlafen. Ich blinzelte und fand mich in absoluter Dunkelheit wieder. Vor Angst schnappte ich nach Luft. Nichts hier war vertraut. Und ich war erschöpft.
Dann erschien ein schmaler Streifen orangefarbenen Lichts, und eine Stimme rief leise: »Letitia, Liebes, bist du das?«
»Criminy?«, fragte ich. Ich rieb mir die Augen und setzte mich auf.
Die Tür ging auf, und ich wurde in den warmen Glanz der sowas-wie-elektrischen Lampen aus dem Hauptraum getaucht. Ein Schatten in Criminyform blockierte das helle Licht, und als meine Augen sich daran gewöhnt hatten, sah ich sein Gesicht, das besorgt und erleichtert zugleich war. Er ließ sich am Bettrand nieder und streckte eine behandschuhte Hand aus, als wolle er mich berühren, doch dann hielt er im letzten Moment inne.
»Geht es dir gut?«, fragte er sanft.
»Ich denke schon«, sagte ich. »Aber ich bin so müde.« Meine Augen drohten wieder zuzufallen.
»Bleib bei mir, Mäuschen«, bat er. »Bleib eine Weile in dieser Welt. Jetzt bin ich an der Reihe, Zeit mit dir zu verbringen.« Sanft strich er mir das Haar aus dem Gesicht und fragte: »Wie war es?« Allein diese kurze Berührung ließ alles in mir prickeln. Ich fragte mich, ob ich wohl morgendlichen Mundgeruch hatte und duckte den Kopf weg.
»Es war … völlig normal. Ich bin in meinem Bett aufgewacht, hab mich um meine Großmutter gekümmert, bin zur Arbeit gegangen. Ich hab mich gefühlt, als hätte ich überhaupt keinen Schlaf bekommen, aber es war alles in Ordnung.« Dann fiel mir auf, dass auch er erschöpft aussah. »Warte mal. Hast du denn geschlafen?«
»Nicht viel«, antwortete er trocken und rieb sich über den Nacken. »Ich gebe zu, dass ich am frühen Morgen einem kurzen Nickerchen zum Opfer gefallen bin, aber die Tür war verschlossen, und Pem hat Wache gehalten. Hatte den merkwürdigsten aller
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