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Blutland - Von der Leidenschaft gerufen

Blutland - Von der Leidenschaft gerufen

Titel: Blutland - Von der Leidenschaft gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
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ich im Gras etwas suchen.
    »Entschuldigen Sie, junge Dame«, erklang eine verärgerte Stimme in schleppendem Südstaatenakzent. »Kann ich Ihnen helfen?« Sie war gebaut wie ein Schlachtschiff und gekleidet in einen Hosenanzug aus schwarzer Hose und lavendelfarbener Jacke. Ihrem Make-up nach zu urteilen verbrachte sie ihre Tage als Anwältin und ihre Wochenenden als Avonfan.
    »Oh, das hoffe ich«, sagte ich, und meine Stimme klang sicherer als ich erwartet hatte. »Ich war auf dem Hausflohmarkt gestern, und ich fürchte, ich habe hier draußen mein Portemonnaie verloren.«
    »Es hat niemand ein Portemonnaie abgegeben«, antwortete sie und musterte mich aus ihren kleinen Augen misstrauisch von oben bis unten. »Können Sie es beschreiben?«
    »Sicher. Es ist hellblau mit Blumen und einem Reißverschluss.«
    In Wirklichkeit ist mein Portemonnaie aus hellbraunem Leder. Ich wusste nicht mal, warum ich sie anlog, oder woher das Bild des nichtexistenten Portemonnaies vor meinem inneren Auge gekommen war. Es kam einfach so, ganz leicht. Die Lügen kamen mir einfach so über die Lippen, eine nach der anderen.
    »Haben Sie irgendetwas mit Ihrer Kreditkarte gekauft? Vielleicht habe ich die Unterlagen noch da«, meinte sie mit einer derart süßlichen Liebenswürdigkeit, dass mir klar war, sie wollte mich in die Enge treiben. »Wie ist Ihr Name, meine Liebe?«
    »Valerie Taylor«, log ich. »Aber tatsächlich habe ich gar nichts gekauft.«
    Sie blätterte dennoch durch ihr Notizbuch aus pinkfarbenem Leder und murmelte dabei »Valerie Taylor, Valerie Taylor« vor sich hin. Als ob der Name tatsächlich irgendwo dort stehen könnte.
    »Nein, keine Aufzeichnung in der Art. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen konnte. Vielleicht sollten Sie sich an die Polizei wenden?« Sie streckte den Arm in Richtung unserer Autos aus und setzte ihr schönstes Hostessenlächeln auf. Aber ich rührte mich nicht vom Fleck.
    »Ich würde gerne noch den Rasen hier absuchen, falls es Ihnen nichts ausmacht«, sagte ich. »Ich bin sicher, es muss hier irgendwo sein.«
    »Ich weiß nicht recht, ob das angebracht ist. Privatbesitz und so weiter.«
    »Oh, tut mir leid«, sagte ich mit einem herzlichen Lächeln. »Aber ich verspreche, dass ich niemanden stören werde. Das Haus steht doch leer, oder?«
    Sie wurde rot bis zur Perlenkette um ihren Hals und fing an zu stottern. »Ja, nun, ähm, ja, also, sehen Sie … Eigentumsrechte und so … Besitzübergang … Urkunden …«
    »Großartig. Lassen Sie sich von mir nicht stören. Ich werde einfach hier in den Büschen stöbern. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe, Ma’am.«
    Damit drehte ich ihr den Rücken zu. Sie wandte sich, noch immer vor sich hinschwadronierend, zur Tür und öffnete sie mit ihrem eigenen Schlüssel. Sie musste sich seitwärts drehen, um durch die schmale Türöffnung zu passen, und kaum war sie verschwunden, schnappte ich mir das Buch und steckte es in den Hosenbund meiner Arbeitskluft. Dann stöberte ich noch eine Minute lang in den Büschen herum, bevor ich seelenruhig zu meinem Auto ging und davonfuhr – mit Mrs Steins Ersatzschlüssel in meiner Tasche.
    Das war so einfach , dachte ich. Ich legte die Hand auf das Buch und grinste von einem Ohr zum anderen.
    Doch dann verflog der kurze Rausch der Selbstzufriedenheit, und Entsetzen machte sich breit:
    Jetzt war ich eine Diebin, und eine Lügnerin noch dazu.
    Das Lügen war so … normal gewesen. Und so völlig gegen meine Natur. Die normale Tish wäre vor der aufdringlichen Walküre zutiefst erschrocken zu ihrem Auto zurückgerannt und hätte sich den Rest des Tages Sorgen gemacht in der Erwartung, Ärger zu bekommen.
    Letitia allerdings war eine geborene Schauspielerin.
    Das machte mir zu schaffen, die ganze Fahrt über zu Mr Rathbin. Ich war früh dran, also parkte ich mein Auto an einer schattigen Stelle an der Straße und nahm das Buch zur Hand. Es war sehr alt, aber in gutem Zustand, mit goldgeränderten Seiten und blutrotem Einband, der nach all den Jahren des Anfassens glänzte. Auf dem Buchrücken stand kein Titel, und vorne war eine goldene Kompassrose eingeprägt, umgeben von Trauben, genau wie bei dem Medaillon.
    Ich öffnete das Buch auf irgendeiner Seite und sah … nichts.
    Das Buch war leer. Nur hunderte altersfleckiger Seiten mit nichts drauf.
    Ich blätterte zur Innenseite des Vorderdeckels. Dort stand eine lange Liste mit Namen, geschrieben mit verblasster Tinte in der Farbe getrockneten Blutes –

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