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Blutland - Von der Leidenschaft gerufen

Blutland - Von der Leidenschaft gerufen

Titel: Blutland - Von der Leidenschaft gerufen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Delilah S. Dawson
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etwas weniger ungebärdig und etwas mehr anständig wirken ließ. Ich dagegen sah zerfleddert aus – aber das schien ihn nicht zu stören.
    Ich konnte fühlen, wie das Beutetier in mir drängte, sich von seinem Raubtiergrinsen fernzuhalten. Aber er war doch kein Monster. Er konnte sich im Tageslicht aufhalten, er hatte ein Spiegelbild, er schlief nicht in einem Sarg. Er war nicht tot. Aber irgendwie erwartete ich immer noch, dass er mehr von einem Monster an sich hatte.
    »Ich glaube, du wirst immer fremdartig sein«, sagte ich leise und schaute auf die roten Blumen hinab, die auf die Porzellanschale aufgemalt waren. »Wo ist der Krug mit Wasser?«
    »Krug mit Wasser?« Er lachte. »Was glaubst du ist das hier – siebzehntes Jahrhundert?«
    Er drückte einen Knopf auf einer kleinen Scheibe neben dem Waschtisch, und Wasser strömte aus dem Mund eines Keramikengelchens, das in das Holz unter dem Spiegel eingelassen war.
    »Bei jedem Halt zapfen wir mit der Pumpe unseres Wagenzuges die Wasserschicht an, weißt du«, erklärte er. Als die Schale voll war, drückte er wieder den Knopf und der Wasserfluss endete. »Wenn du fertig bist, der Abfluss ist unter der Schale. Einfach hochheben und reinschütten. Es ist ein wenig altmodisch, aber besser als seine Strümpfe gegen einen Stein zu schlagen.« Als er meinen Gesichtsausdruck sah, lachte er. »Habt ihr denn kein fließendes Wasser in eurer Welt?«
    »Doch«, sagte ich. »Vermutlich dachte ich, es wäre hier weniger modern.«
    »Weniger modern? Da, wo du herkommst, gibt es noch nicht mal Uhrwerktiere, hast du gesagt.«
    »Okay, okay. Du hast gewonnen. Ihr seid moderner«, kapitulierte ich. »Kann ich mich jetzt anziehen?«
    »Natürlich. Brauchst du Hilfe bei deinen Schnüren?«
    Er sagte es beiläufig, aber in seiner Stimme lag eine hungrige Neugier, die mich amüsierte.
    »Wahrscheinlich«, antwortete ich. »Aber ich brauche Hilfe mit allem. Kannst du Mrs Cleavers herschicken?«
    Er lachte wieder sein helles, wildes Lachen und meinte: »Mrs Cleavers macht keine Hausbesuche, Mäuschen. Sie ist eine sehr wichtige Frau. Aber ich schicke dir ein Mädchen her. Ich bin ohnehin besser im Aufschnüren.«
    Mit einem Lächeln im Gesicht und seinem Kupferäffchen auf der Schulter schlenderte er zur Tür hinaus und rief: »Und komm zum Frühstück in den Speisewagen, wenn du fertig bist, Liebes. Eine Menge zu tun.«
    Nur Augenblicke später klopfte jemand an meine Tür, und als ich sie einen Spalt weit öffnete, sah ich einen Hinterkopf voller rotblonder Locken und eine Farborgie aus purpurrotem und gelbem Leder. Auf der Schulter saß eine kleine Uhrwerk-Fledermaus mit gefalteten gummiartigen Flügeln und roten Augen, die hell blinkten. Es war das Mädchen, das ich gestern auf dem Hochseil gesehen hatte.
    »Hallo?«, machte ich mich bemerkbar.
    Sie wirbelte herum und schenkte mir ein unechtes Lächeln. Es erinnerte mich an den Blick, den mir mal ein beliebtes Mädchen an der Highschool zugeworfen hatte, direkt bevor sie mich fragte, ob sie sich meine Hausaufgaben ausleihen könne.
    »Hi, Püppi«, sagte sie in einer Art Cockney-Akzent. »Master Crim sagte, du brauchst jemanden, der dich schnürt und so weiter, also: Hier bin ich.«
    Sie trat an mir vorbei in meinen Wagen und sah sich abschätzend um. Ich konnte schon fast Dollarzeichen in ihren strahlend blauen Augen sehen.
    »Den ham se schnell für dich aufgemotzt, nich’ wahr, Liebes? Hübsche Couch, Wagen in Ordnung gebracht, neuer Spiegel. Ham all die Kratzer beseitigt, die Pietro hinterlassen hat, der arme Kerl. Du musst ja ganz was Besonderes sein!«
    »Och, nicht wirklich«, brachte ich gerade noch heraus, bevor sie auch schon die Tür zur Schlafecke aufgestoßen hatte.
    »Teufel noch mal«, rief sie aus. »Auch noch Seidenbettwäsche! Ich weiß schon, was der Master sich dabei denkt, eh? Hübsches kleines Nest für die Turteltäubchen. Also, wo sin’ dein Korsett und die Unterröcke, Liebes? Wir müssen noch frühstücken.«
    Sie war wie ein Spatz, scharfzüngig und schnell, und die Worte sprudelten in einem melodischen Fluss aus ihr heraus. Verschwunden war der gelangweilte Ausdruck von gestern, stattdessen der gerissene Blick eines Langfingers.
    »Ich bin Emerlie«, stellte sie sich vor. »Emerlie Fetching. Ursprünglich aus Blackchapel, natürlich, das kennt man schon am Akzent, eh? Hab’ Seiltanzen und Tricks von mein’ Paps gelernt, der war ’n alter Hase im Wanderzirkus. Ich mach’ Einrad, Seiltanzen,

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