Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
drängten sie, es zu tun, und sie wusste, dass sie nicht kneifen konnte. Also zog sie, mit anmutiger aber widerwilliger Vorsicht, den Handschuh ab. Wahrscheinlich hatte sie ihre Hand noch nie in ihrem Leben jemand anderem als ihren Eltern gezeigt.
Der Stromschock kam schnell, als ich ihre Haut berührte.
»Der junge Mann, den Ihr liebt, erwidert das Gefühl nicht«, sagte ich mit verhaltener Stimme. »Aber ein anderer tut es. Hütet Euch vor der mit den goldenen Augen, denn sie wird Euch hintergehen. Sagt Eurem Vater, er soll nicht auf das schwarze Ross setzen. Hört auf Eure Mutter und heiratet nicht den Ersten, der Euch fragt, dann werdet Ihr Euer Glück finden.«
Ich gab ihre Hand wieder frei. Sie hatte ihre Augen übermäßig weit aufgerissen, was mich daran erinnerte, wie jung sie tatsächlich noch war. »Haben Sie Dank, Lady«, sagte sie.
Sie zog ihren Handschuh wieder an und ließ ein paar Münzen auf den Tisch fallen. Ich ließ sie in einen kleinen Beutel zu meinen Füßen verschwinden, da Criminy mich angewiesen hatte, niemals einen Kunden das Geld sehen zu lassen. Ihre Freundinnen umringten sie und bestürmten sie mit Fragen, aber sie schüttelte den Kopf.
»Sie sieht die Wahrheit«, sagte sie. »Das ist alles, was ich sagen kann.«
Natürlich standen ihre sechs Freundinnen daraufhin Schlange bei mir, und mein Münzbeutel wurde schwerer. Jedes Mal, wenn ich eine Hand ergriff, hatte ich furchtbare Angst, etwas Schreckliches zu sehen, das ich nicht mit ein paar wohlgesetzten Worten würde verhindern können. Oder, noch schlimmer, dass ich gar nichts sehen würde und gezwungen wäre, auf die Schnelle etwas zu erfinden. Aber nach dem zu urteilen, was ich sehen konnte, war das Leben in der Stadt langweilig und überwiegend sicher. Lediglich die Hand eines Mädchens offenbarte mir eine Tragödie, und der konnte ich abhelfen.
»Ganz gleich, was Euer Liebster sagt, schleicht Euch niemals des Nachts hinaus«, sagte ich ihr in düsterem und unheilschwangerem Tonfall. »Oder Euer Tod ereilt Euch in den Schatten der Gassen, und Eure Mutter wird Eure Knochen finden, abgenagt von Bludratten.«
Das klang übel, weil, nun ja, es war übel. Aber es ließ sich leicht verhindern. Bleib im Haus, dummes Ding. Ich hoffte, ich hatte ihr damit genügend Angst gemacht.
Zum Glück für mein Geschäft gab es keine bessere Werbung als eine Gruppe beeindruckter und verängstigter junger Mädchen. Schon bald hatte ich eine Warteschlange vor mir, und Criminys Uhrwerkäffchen kam dazu, um Kunststückchen für ein paar Pennies vorzuführen, die sie in ihrem kleinen Fez sammelte. Nachdem sie ein paar Rückwärtssalti vollführt hatte, brachte sie mir eine Notiz in eleganter Handschrift, unterschrieben mit einem C.
Gut gemacht, Liebes, du bist ein Star . Mehr stand nicht darauf, aber dennoch verzog sich meine geheimnisvolle Miene zu dem dümmlichen Grinsen eines Teenagers in der Highschool, der ein Liebesbriefchen bekommt.
»Miss?«, fragte da der nächste Kunde. »Können wir das schnell hinter uns bringen?«
Ich schaute auf – und sah in das beklommene Gesicht eines Coppers. Diesen Bart an Kinn und Oberlippe kannte ich: Ferling, der freundlichere der beiden Copper, die ich an meinem ersten Morgen in Sang gesehen hatte, während ich selbst unsichtbar gewesen war.
Ich steckte das Affogramm diskret in meinen Ärmel.
Er rutschte nervös auf dem Stuhl herum, und mir war klar: Was auch immer einem Copper auf einem Rummel zu tun gestattet war – sich wahrsagen zu lassen, gehörte nicht dazu. Während er sich nach allen Seiten umschaute, zog er sich abrupt den Lederhandschuh ab, der schon aufgeknöpft war. Er war bereit. Und er war in Sorge.
»Ich muss wissen, ob meine Frau mir treu ist«, sagte er leise. »Schnell.«
Ich nahm seine Hand, und der Stromschock war heftig.
Grundgütiger! Das war überhaupt nicht gut.
»Sie ist Euch treu, aber man tut ihr Gewalt an«, sagte ich. »Der Beweis liegt in der Gewürzdose. Das Kind ist Eures. Bleibt treu, und alles wird gut. Knochen können heilen. Sucht Rache, und alles versinkt in Blut. Wenn die Zeit der Entscheidung kommt, erinnert Euch daran.«
Sein Gesicht war entsetzt, und seine Hand zitterte.
»Es tut mir leid«, sagte ich mit normaler Stimme.
»Dank Euch, Lady«, sagte er, schob eine Phiole mit Blut auf den Tisch und verschwand in der Menge.
Es war ein schweres Schicksal, und ich fühlte Mitleid mit dem Mann. Ich hatte ihm nicht gesagt, dass seine Frau von seinem Partner
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