Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
zurückzustehlen.«
Wir beschlossen, nach dem Frühstück aufzubrechen und der Straße zu Fuß zu folgen. Zuvor gab es noch viel zu tun, angefangen bei Instruktionen für Mrs Cleavers über das Geschäft im Wanderzirkus, bis hin zum Zusammenpacken von Proviant und Blut. Geld nahmen wir nur wenig mit, denn es lohnte nicht, sich dadurch verdächtig oder zur möglichen Zielscheibe zu machen. Außerdem konnten wir uns immer noch Geld auf der Straße verdienen mit Criminys Magie oder meinen seherischen Fähigkeiten.
Während Criminy mit Mrs Cleavers sprach, saß ich auf den Stufen ihres Wohnwagens, schaute in den Frühnebel, der über dem Moor hing und dachte an meine Großmutter. Noch nie hatte ich mich so weit entfernt von Trost und Sicherheit gefühlt.
»Bereit, zu gehen und Eure wundervollen Städte zu erreichen?«, fragte eine Stimme, und als ich aufschaute, sah ich Casper mit scherzhaftem Grinsen am Wohnwagen lehnen. So als hätte er unsere letzte Diskussion vergessen. Also spielte ich mit.
»Vielleicht, Mr Whitman«, antwortete ich geziert. »Aber ich habe noch etwas Angst vor dem Teil mit den verächtlichen Träumen.«
»Das Gefühl kenne ich«, meinte er. »Ich mache mir auch Sorgen wegen deiner Träume. Und mir gefällt der Gedanke nicht, dass du allein im Moor bist – mit ihm .« Er sah nachdenklich und einladend aus, mit dem langen Haar und seinem warmen Lächeln. In seiner Nähe fühlte ich mich jung, hoffnungsfroh, als etwas Besonderes, und das gefiel mir. Einen kurzen Moment lang dachte ich schuldbewusst an Criminy, doch dann klopfte ich mit der Hand leicht auf die Holzstufe neben mir.
Er setzte sich neben mir auf die Treppe, und ich war mir der Berührung seiner Hüfte und seiner Schulter überaus bewusst. Der Wind blies sein Haar in mein Gesicht. Es roch nach Seife. Nicht Beeren, Wein und Düsternis, sondern gute, saubere Seife. Und seine Haut duftete so herrlich nach Mensch, nach Mann, nach einem Leben in der Sonne.
»Criminy sagt, dass Sehende jedermanns Zukunft sehen können, nur ihre eigene nicht«, sagte ich und merkte, wie mir die Röte in die Wangen kroch. »Aber ich glaube aufrichtig, dass du am Ende bekommen wirst, was du willst.«
»Alles was ich je wollte, war Musik – bis jetzt«, sagte er. Seine Schulter drückte sich gegen meine und ganz unwillkürlich lehnte ich mich an ihn. »Ich war so beschäftigt damit, zu üben, zu reisen und zu schreiben, dass ich nie Zeit für andere Menschen hatte. Und jetzt habe ich so viel Zeit und niemanden, mit dem ich sie teilen kann.«
Eine leichte Brise kam auf, und eine Haarlocke flog mir ins Gesicht. Er schob sie mir sanft hinters Ohr zurück, und seine Finger hinterließen samtene Spuren aus Feuer auf meiner Haut. Ich schloss die Augen, verlor mich im Augenblick, und seine Lippen drückten sich auf meine, warm, sanft und zärtlich. Ich fühlte mich wie ein Teenager beim ersten Kuss auf der Türschwelle – ein gestohlener Augenblick, in dem alles golden glänzt und schimmert und schmerzlich schön ist. Und so, oh so vergänglich.
Gerade als ich hoffte, der Kuss würde tiefer, zog er sich wieder zurück und streichelte über mein Gesicht. »Du bist so allerliebst«, sagte er. »Sanft, wohlgeformt und schön, wie eine Frau sein sollte.«
Bei dem Wörtchen sollte runzelte ich die Stirn, und ich musste ihn einfach fragen: »Was denkst du denn noch, was ich bin?«
»Mal sehen«, meinte er mit einem Lächeln. »Du bist Krankenschwester, also musst du freundlich und gutherzig sein. Du kennst Grashalme , also musst du gebildet sein und Sinn für Poesie haben. Du bist schön, aber das kann jeder sehen. Und du hast dieses Monster Stain um den Finger gewickelt, das ist ziemlich clever. Die Mädchen himmeln ihn ständig an, aber er ignoriert sie, und dir hat er schon einen eigenen Wohnwagen gegeben. Aber als mein Mädchen hättest du es dir mit ihm verscherzt, das muss ich leider sagen.«
»Ich bin niemandes Mädchen«, gab ich zurück. Ich rückte ein wenig von ihm ab und brachte etwas Abstand zwischen uns.
»Warum hast du mich dann geküsst?«, fragte er, und blickte mich flehend an. Mit diesem Ausdruck in seinen schönen blauen Augen gefiel er mir weniger als vorher.
»Du fühlst dich einfach richtig für mich an. Ich fühle mich dir so eng verbunden, als wärst du mein Zuhause. Und ich denke, du fühlst dasselbe für mich.«
Darauf hatte ich keine Antwort. Ich empfand tatsächlich dasselbe für ihn, und ich sehnte mich nach Nähe und Frieden. Er
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