Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
durch, und mit einem Quietschen schwang das riesige Tor gerade weit genug auf, um uns durchzulassen.
Sobald wir außer Hörweite waren, befühlte ich mein Gesicht und fragte: »Was hast du mit mir gemacht?«
Criminy zog einen kleinen Messingspiegel aus seiner Weste und sagte: »Es ist nur eine Illusion, nichts, was du mit den Händen fühlen kannst. Ich habe versucht, dein Aussehen so anders wie nur möglich zu dem zu machen, was du wirklich bist. Die Wirkung lässt schon nach.«
Im Spiegel erblickte ich die hässlichste Frau, die ich je gesehen hatte: Warzen, Barthaare am Kinn und eine rotgeäderte Nase, die wie ein Kürbis aussah.
»Wow, das ist ja wie wieder dreizehn sein«, stellte ich fest und musste loslachen. Es war schrecklich, aber es war sehr viel besser als gefangen genommen zu werden.
Criminy nahm sein Fernrohr heraus und betrachtete damit das Moor. Dann holte er mit einem ärgerlichen hmpf einen weiteren Kompass heraus, den ich vorher noch nicht gesehen hatte. Anstelle von vier Pfeilen zierten bei diesem winzige Bilder die Außenseite des Kreises. Criminy drehte die Scheibe und fingerte an dem Mechanismus, richtete sich dann nach dem Pfeil aus und marschierte los. Ich folgte ihm nervös.
Eine Zeitlang liefen wir durch die menschenleere Moorlandschaft, bis er eine Hand hob und ich stehen blieb, direkt am Rande eines verlassenen Obstgartens. Wir waren mitten im Nirgendwo und hatten, seit sich das Tor hinter uns geschlossen hatte, nichts Lebendiges zu Gesicht bekommen, abgesehen von einigen Bludhäschen.
»Es ist wahrscheinlich direkt hinter diesem Hügel. Dann schnüre jetzt deine Handschuhe und den Nacken auf und bleib genau hier stehen, ganz still. Du wirst mir vertrauen müssen.« Damit küsste er mich auf die Stirn und verschwand auf einen Baum.
Ich war allein. Mit einem zittrigen Schnaufen begann ich zaghaft, die Schnüre zu öffnen, um zum ersten Mal in dieser gefährlichen Welt absichtlich den Duft meiner Haut freizusetzen. Ich stand da und spürte den Luftzug auf meiner Haut, aber ich konnte ihn nicht genießen. Stattdessen fühlte ich mich wie Andromeda aus der griechischen Sage, die an den Felsen gekettet war und die steigende Flut ignorierte. Wenigstens jagten wir etwas, das ein gutes Stück kleiner war als ein Meeresungeheuer.
Die Bludhäschen waren die Ersten. Unschuldig kamen sie aus dem kühlen Morgen angehoppelt bis zu meinen Füßen, wo Criminy sie dann eins nach dem anderen mit einer Steinschleuder erledigte. Durch die Blätter hindurch konnte ich ihn kaum sehen, wie er auf einem Ast kauerte, seinen Mantel säuberlich gefaltet neben sich.
Bald war der Boden rund um meine Stiefel übersät mit niedlichen, flauschigen Kadavern in Weiß, Zartbraun und Scheckiggrau. Sie erinnerten mich an die Pelzjacke, die ich mit acht Jahren zu Weihnachten bekommen hatte – abgesehen davon, dass die nicht versucht hatte, mich zu fressen.
Danach kam ein Fuchs, der ganz und gar nicht wählerisch, sondern überaus glücklich war, sich ein paar Bludhäschen zu schnappen und damit das Weite suchen zu können. Danach tauchte eine Hirschkuh vorsichtigen Schrittes aus den Büschen auf. Criminy klatschte ihr einen Stein aufs Hinterteil, und mit einem Fauchen trat sie den Rückzug an.
Schließlich hörten wir unser Opfer in spe über den Hügel donnern, und mein Herz, das schon bis zum Hals schlug, legte noch einen Zahn zu.
Es war so schwer, nicht wegzurennen. Nicht, dass das geholfen hätte.
Sie war groß, und sie kam direkt auf mich zu.
In meiner Welt wäre sie wohl ein Kaltblut gewesen. Aber in dieser Welt war sie ein Bludross, zum Töten geschaffen. Hufe, so groß wie Essteller, Mähne und Schweif lang und wehend, Schaum vor einem Maul voller spitzer Zähne. Ihre riesigen roten Augen waren auf mich geheftet. Und sie sabberte.
Sie hielt an und schnupperte. Ihre glänzend schwarzen Flanken zitterten, während sie tief die Luft durch die Nüstern einzog. Dann richtete sie sich mit einem triumphierenden Brüllen auf und galoppierte direkt auf mich zu. Ich spannte mich an. Sie wog so viel wie ein VW-Bus, und sie war aufs Töten aus.
Der Boden erzitterte unter meinen Stiefeln, als sie auf mich zu donnerte. Ich zwang mich, still stehen zu bleiben. Es ging gegen jeden Instinkt, einfach nur auf den tödlichen Schlag zu warten. Aber es war ja auch nicht so, als hätte ich ihr davonlaufen können. Ich musste Criminy vertrauen.
Als sie so nah war, dass ich das rosige Innere ihrer wütend geblähten
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