Blutland - Von der Leidenschaft gerufen
Er hätte mir wahrscheinlich noch ein Elektrohalsband umgelegt, wenn es legal gewesen wäre. Auch wenn ich Angst hatte – es war ein gutes Gefühl, endlich frei zu sein.
Das Pferd folgte ihm bereitwillig zu einem umgestürzten Baum und blieb stehen, als er mir dabei half, meinen schweren, raschelnden Rock über ihren Rücken zu schwingen. Als sie einen kleinen Sprung machte, packte ich ihre Mähne mit den Händen und schaffte es, oben zu bleiben, während Criminy sich anmutig hinter mir aufschwang. Es war ein schockartiges Erlebnis, zu fühlen, wie sein Körper sich an meinen schmiegte, seine Schenkel straff an meinen, und seine Arme um mich geschlungen. Ich hätte nicht vermutet, dass es ein so intimes und elektrisierendes Gefühl sein konnte, ein Monsterpferd zu reiten. Er nahm die Zügel in beide Hände und murmelte: »Halt dich gut fest, Süße« und drückte ihr kurz die Hacken in die Seiten.
Erris stieg kurz auf die Hinterläufe und sprang in die Luft. Ich presste die Knie zusammen und hielt mich krampfhaft an der Mähne fest, als ginge es um mein Leben, und sie rannte los. Da die Richtung stimmte, war das gar nicht so übel, und Criminy zog mich einfach näher an sich und ließ sie galoppieren.
Sie war groß, aber wendig und sehr schnell. Als ich mich erst mal an den Rhythmus gewöhnt hatte, war es gar nicht mehr schwer, oben zu bleiben. Es war, wie schnell über eine Autobahnbrücke zu fahren, sodass das Auto zwischen den Metallstreben zu fliegen schien. Ka-thunk, ka-thunk. Stundenlang.
Wir redeten nicht, denn im Luftzug hätten wir uns gegenseitig nicht verstehen können. Der schwere Körper unter uns war erhitzt und schweißfeucht, und ich war mir nur zu sehr Criminys harter Schenkel bewusst, die sich hinter mir in die Seiten des Pferdes drückten. Er hielt die Zügel in den Händen, und seine Arme hielten mich umfangen. Ich spürte, wie sein Blick und seine Gedanken wanderten, nahe und doch meilenweit entfernt.
Auch meine Gedanken wanderten hin und her zwischen dem realen Erlebnis, dass ich gerade auf einem blutrünstigen Pferd durch eine fremde Welt galoppierte, und der Furcht, was passieren würde, wenn wir anhielten, bis hin zu der beständigen schmerzlichen Sehnsucht nach meinem anderen Leben. So erholsam der Schlaf letzte Nacht auch gewesen war, ein Teil von mir war entsetzt darüber, dass ich nicht in meiner eigenen Welt aufgewacht war, leicht irre und sehr müde. Es war, als hätte man einen Albtraum und würde ständig damit rechnen, aufzuwachen, aber vergeblich. Ich hatte die Magie des Medaillons als selbstverständlich hingenommen.
Wenn meine Vermutung stimmte, war mein Körper bewusstlos und reagierte nicht. Ich hing an Monitoren, und eine Krankenschwester, die ich noch nie gesehen hatte, drehte und wusch mich, um mich sauberzuhalten und wundgelegene Stellen zu vermeiden. Dieses Bild vor meinem inneren Auge ließ mich schaudern. Mit dem, was ich über Casper wusste und durch meine kurze Vision von Jonah Goodwill in meiner Welt erfahren hatte, schien es mir die einzige Antwort zu sein: Wenn man in meiner Welt im Koma lag, dann mochte ich wetten, war man hier in Sang.
Ohne mein Medaillon fühlte ich mich nackt. Nackt und in der Falle. Stück für Stück wurde Criminy zu einem Anker für mich, das, was mir in Sang am vertrautesten war. Und er steckte voller Überraschungen. Als ich ihn zum ersten Mal gesehen und für einen ungezogenen Mr Darcy gehalten hatte, war ich der Wahrheit ziemlich nahe gekommen. Er bezeichnete sich selbst als gefährlich und töten hatte ich ihn auch schon sehen. Aber ebenso hatte ich gesehen, dass er anständig, freundlich, tapfer, barmherzig und loyal war. Für ein Monster gab es viel an ihm zu bewundern, und das alles noch ungeachtet seiner physischen Präsenz, die sich gerade überaus reizvoll an mich drückte.
Eine Zeitlang fiel ich sogar in einen leichten Dämmerschlaf, sicher in seinen Armen und eingelullt von der Monotonie donnernder Hufe und endloser, grasiger Moorlandschaften. Ich schlief unruhig und traumlos. Als der geschmeidige Galopp langsamer wurde, zwang ich mich, die Augen zu öffnen, und als unser Pferd in Trab fiel, klapperten mir die Zähne aufeinander. Criminys Arm um meine Taille war das Einzige, das mich noch auf dem Pferderücken hielt.
»Sind wir schon da?«, fragte ich benommen.
Criminy lachte leise. »Noch lange nicht«, sagte er.
19.
N achdem ich mir Schlaf und Staub aus den Augen gewischt hatte, sah ich zu meiner Überraschung ein
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