Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blutleer

Blutleer

Titel: Blutleer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Kaffke
Vom Netzwerk:
Traditionslokal. Es war angenehm warm, und an den Tabletttischen rund ums
Uerige
standen Trauben von Menschen, denen unaufgefordert Altbier hingestellt wurde. Barbara und Jakubian sahen sich an und wussten, ihnen war heute nicht nach solchem Trubel. »Hast Du schon etwas gegessen?«, fragte sie.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Appetit?«
    Er sah sie an und grinste. »Immer. Selbst jetzt.«
    Sie lotste ihn am Carlsplatz vorbei zur Bastionstraße. Hier lag einer von ihren Lieblingsitalienern, das
Vini Divini
, ein kleines Lokal mit blanken Tischen und unverputzten Wänden, wo hinter einer Theke offen gekocht wurde. Es gab nur eine kleine Karte mit einfachen Gerichten, die aber höchst schmackhaft waren. Und es gab guten Wein, denn hier wurde auch damit gehandelt. Gerade hatten die letzten Gäste das Lokal verlassen. Eigentlich hatte es schon Weile geschlossen, aber Barbara wurde freundlich begrüßt. »Können wir noch etwas essen?«, fragte sie.
    »Sie immer!«, war die Antwort.
    Sie nahmen an einem der kleinen Tische Platz. »Ich hoffe, Wein ist in Ordnung als Besäufnis«, meinte Barbara launig. »Wenn du etwas Härteres brauchst, müssen wir hinterher noch woanders hin.«
    »Wein ist vollkommen in Ordnung«, sagte Jakubian, während er die Karte studierte. »Eins noch«, er sah sie über den Rand seiner Lesebrille an. »Wir reden heute nicht mehr über den Fall.«
    Das war keine Frage oder Bitte, einfach nur eine Feststellung. Barbara war es recht. Sie sprachen über Belangloses und Persönliches, seine Kindheit in Ruhrort und Oberhausen, ihre in Essen, über das, was sie als Teenies getrieben hatten und wie sie zur Polizei gekommen waren. Jakubian orderte die nächste Flasche Wein.
    »Woher sprichst du so gut Russisch?«, fragte sie plötzlich.
    »Machst du Witze? Denk mal an meinen Familiennamen.«
    Barbara war verwirrt. »Nun, Jakubian, das ist doch armenisch, oder?«
    »Ja, sicher. Aber meine Familie lebte seit dem 18. Jahrhundert in Moskau. Und wir sprechen seit Generationen russisch.«
    »Und wie seid ihr nach Deutschland gekommen?«
    Er lachte. »Das ist eine lange Geschichte. Oder eine kurze. Je nachdem. Die kurze Variante ist, dass die Familie meines Großvaters während der Revolution geflohen ist, zuerst nach Paris und später dann nach Deutschland. In den Dreißigern sind sie dann weiter nach New York geflohen, weil es ihnen unter Hitler nicht geheuer war. Aber wohl gefühlt hat sich mein Großvater dort nie. Meine Mutter kommt aus einer jüdischen Familie – das klassische Brooklyn-Klischee –, ihre Eltern haben es meinem Vater nie verziehen, dass er Großvater zurück nach Deutschland gefolgt ist. Zu Hause wurde deutsch gesprochen und russisch, nicht zu vergessen Mutters jiddische Flüche und natürlich englisch. Meine Geschwister und ich konnten wahrscheinlich, ehe wir zur Schule kamen, keine dieser Sprachen richtig sprechen.«
    »Und Ruben heißt du …?«
    »Um meine New Yorker Großmutter friedlich zu stimmen.« Er sah sie an. »Und du? Bist du ein Einzelkind?«
    »Ja. Wie kommst darauf?«
    »Nur so eine Ahnung.« Er lächelte in sich hinein.
    »Bin ich so unausstehlich?«
    »Nein.«
    »Aber?«
    Jetzt blickte er ihr direkt in die Augen. »Kein aber. Ich habe mir nur früher immer vorgestellt, dass Einzelkinder sehr einsam sein müssen.«
    »Ich bin nicht …«, Barbara brach ab. Natürlich war sie einsam. Eine Weile hatte sie geglaubt, es nicht zu sein. Dabei war es gar nicht so schwer, auch mit Thomas an ihrer Seite einsam zu sein.
    »Tut mir Leid«, sagte Jakubian leise. »Ich wollte an nichts rühren.«
    »Da gibt es nicht mehr aufzustören.« Barbara schaute in ihr Weinglas. »Es liegt alles offen. Ich hätte längst zu Thomas zurückkehren können, er hat mich wirklich sehr darum gebeten. Aber ich kann es nicht. Ich kann es einfach nicht.«
    Jakubian schenkte noch mal nach und wechselte das Thema. Er und Barbara waren erstaunlich trinkfest, denn beide schienen den Alkohol nur wenig zu spüren.
    In diesem Moment kam der Kellner an den Tisch. »Es tut mir sehr Leid, aber wir müssen jetzt wirklich schließen.« Er legte die Rechnung auf den Tisch.
    Barbara sah auf die Uhr. Es war nach zwei, ihretwegen wurden hier gerade eine Menge Überstunden gemacht.
    Jakubian nahm die Rechnung an sich und Barbara protestierte nicht. Er kaufte auch noch zwei weitere Flaschen und gab ein großzügiges Trinkgeld. Dann standen sie plötzlich auf der Straße.
    »Also, ich kann nicht mehr fahren«, sagte

Weitere Kostenlose Bücher