Blutleer
Tarasow«, knurrte Brandeis.
»Sergej Tarasow, ich verhafte Sie wegen dringendem Tatverdacht des Mordes an Tatjana Zalevnikova. Sie werden ins LKA nach Düsseldorf gebracht.«
»Ich will meinen Anwalt«, sagte der Russe, mit starkem Akzent, aber in tadellosem Deutsch.
»Den können Sie von Düsseldorf aus benachrichtigen.«
Etwa eine Stunde später saß Tarasow in einem Verhörraum beim LKA und wartete auf seinen Anwalt. Es war nicht ganz so gelaufen, wie Jakubian es sich vorgestellt hatte, denn noch bevor er Tarasow befragen konnte, war Wolters mit seinem Chef hereingeplatzt. Werner Petermann, Jakubians Vorgesetzter und der Nachfolger von Barbaras Intimfeind Lohberg aus alten Zeiten, kam kurze Zeit später dazu. Sie konnte deutlich erkennen, dass er sie auch nicht mehr wertschätzte als sein früherer Chef. Er hatte immer in Lohbergs Schatten gestanden und war überraschend nach dessen Pensionierung auf den Posten berufen worden. Barbara hatte Petermann lange nicht mehr gesehen, und er hatte inzwischen einen noch größeren Bauch bekommen und noch weniger Haare. Langsam sah er aus wie Lohbergs jüngerer Bruder.
Barbara war nicht zu der Besprechung eingeladen, und auch Wolters musste sie kurze Zeit später verlassen – wohl nachdem er geschildert hatte, was im Essener Polizeipräsidium passiert war.
»Der kann sich auf etwas gefasst machen«, brach es aus Wolters heraus, als er auf den Flur kam. »Wir arbeiten so lange an dem Fall und nun …«
»Im Grunde ist doch nichts passiert«, sagte Barbara ruhig. »Der Russe denkt, er sei wegen Mordes festgenommen worden. Und da der Vorwurf absurd ist, wird er schnell wieder freikommen und Sie können ihn noch ein paar Monate observieren.«
»Und warum zum Teufel haben Sie dann diese ganze Farce durchgezogen?«
»Jakubian musste ihn hierher bringen, sonst hätte er nie geredet, und dazu brauchte er einen Verdacht, der das rechtfertigte. Denn in Essen hätten Sie uns ja dazwischengefunkt.« Barbara dachte fieberhaft nach. Wenn erst der Anwalt da war, konnten sie eine Aussage vergessen. »Wolters, Sie sind schließlich auch Polizist, und Sie wollen sicher nicht, dass ein Serienmörder frei herumläuft. Helfen Sie mir, damit ich mit Tarasow reden kann. Und dann …«
»Dann kann ich ihn wieder observieren, ich weiß.« Wolters klang noch immer wütend.
»Wenn Sie nicht so schnell gewesen wären, hätten wir das, was wir wollen, längst.«
»Wenn er etwas weiß.«
»Lassen Sie uns das herausfinden, bitte. Lassen Sie mich mit ihm reden.«
Wolters überlegte einen Moment. »In Ordnung. Kommen Sie.«
Es dauerte anderthalb Stunden, bis die beiden Vorgesetzten mit Jakubian fertig waren. Als er aus der Besprechung kam, wirkte er erschöpft, Barbara, die draußen auf ihn wartete, hatte fast das Gefühl, er wäre geschrumpft.
»Und?«, fragte sie.
»Petermann fällt morgen eine Entscheidung.« Er sah auf die Uhr. »Es ist fast Mitternacht. Aber ich brauche jetzt was zu trinken.«
»Gehen wir in die Altstadt«, schlug Barbara vor.
»Also, wenn du lieber nach Hause …«
»Nein. Es war ein turbulenter Tag, ich könnte auch noch was vertragen. Aber sieh dir erstmal das hier an.« Sie hielt ihm ein Papier hin.
»Ist das …?«, fragte er verwirrt.
»Das ist ein Phantombild von Tatjanas gewalttätigem Freier. Und ich habe die Aussage des Russen.«
Jakubian kniff die Augen zusammen, dann holte er seine Lesebrille heraus. »Nicht sehr markant«, meinte er.
»Der Russe hat ihn seit Tatjanas Verschwinden nicht mehr gesehen, und das ist lange her.«
»Könnte das Dewus sein?«
»Ein bisschen ähnlich sieht er ihm schon. Der Russe konnte sich nicht mehr genau erinnern, wie groß der Mann war.«
Barbara und Jakubian gingen gemeinsam zum Wagen.
»Der Mann zahlte immer mit großen Scheinen«, fuhr Barbara fort. »Er war dunkelhaarig mit ein paar grauen Stellen. Der Russe schätzte ihn auf Mitte vierzig.« Jakubian hielt ihr die Wagentür auf. Sie musste lächeln. Es war das erste Mal, dass er das tat.
Er beugte sich zu ihr in den Wagen und drückte ihr das Phantombild in die Hand. »Nimm das besser wieder an dich«, sagte er. »Vielleicht kann ich ja morgen für immer meine Sachen packen. Probezeit, du weißt schon. Und Petermann kann ich gar nicht einschätzen.«
»Ich leider auch nicht. Ich hatte bisher nur wenig mit ihm zu tun.«
Jakubian stellte den Wagen in der Altstadt-Tiefgarage ab. Sie verließen die Garage und schlugen den Weg zum
Uerige
ein, dem Düsseldorfer
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