Blutleer
dir gern erspart«, sagte sie leise, »wenn die Leiche nicht schon vom Fundort weggeschafft worden wäre.«
Thomas sagte nichts. Mit der freien Hand griff er nach dem Tuch und wollte es wegziehen, aber Barbara hinderte ihn daran. »Sie ist von einem zehnstöckigen Gebäude gestürzt, Thomas. Du willst das nicht sehen, glaub mir das.«
Hinter ihnen räusperte sich Jakubian. Thomas drehte sich um.
»Wir müssen uns die Leiche ansehen, Herr Hielmann. Ich nehme an, Sie haben sie bereits identifiziert?«
Thomas nickte. »Das ist Katharina Langen.« Seine Stimme klang heiser, als hätte er sie lange nicht benutzt.
Jakubian sah Barbara fragend an. Sie begriff. Er war in Zeitnot, weil er den Termin bei seinem Chef hatte. »Thomas, bitte geh hinaus und warte da auf mich. Wir … wir fahren dann gemeinsam nach Hause. Es wird nicht lange dauern.«
Gehorsam ging Thomas hinaus.
Jakubian zog das Tuch von der Leiche. In diesem Moment kam der Gerichtsmediziner herein.
»Kein schöner Anblick, was?«, sagte er.
Es gab diverse offene Knochenbrüche und viele Wunden, die stark geblutet hatten.
»Sie war nicht sofort tot«, bemerkte Jakubian.
»Nein. Ich schätze, sie hat noch mehr als fünfzehn Minuten nach dem Sturz gelebt, sonst hätten wir nicht so viel Blut.«
»Gibt es Hinweise auf Messerstiche oder Strangulation?«
»Da werden keine sein.« Barbara hatte bisher geschwiegen. »Die Frau war psychisch krank und stark suizidgefährdet. Es ist unwahrscheinlich, dass sie das Opfer unseres Mörders gewesen ist.«
Der Gerichtsmediziner sah sie erstaunt an. »Sie kennen das Opfer?«
»Ja. Ich kenne sie.«
Jakubian hatte sich auf den Weg zum LKA gemacht. Barbara fand Thomas draußen vor dem Gebäude. »Gib mir deinen Autoschlüssel«, bat sie ihn. Er suchte in seiner Jackentasche und gab ihn ihr. Auf der ganzen Fahrt nach Kaiserswerth sprach er kein Wort.
Barbara hielt vor dem Tor, das wie immer offen stand. Draußen im Briefkasten, der in die das Grundstück umgebene Mauer eingelassen war, steckte deutlich sichtbar ein Umschlag. Barbara zog ihn heraus.
Thomas
stand darauf, sonst nichts. Sie ahnte, was er enthielt, trotzdem gab sie ihn ihrem Mann.
Es war still im Haus, oben hörten sie Annettes Haushälterin in der Küche hantieren.
Sie schloss die Tür zur Wohnung auf, legte ihre Tasche ordentlich auf den Stuhl im Flur. Immer noch hatte Thomas kein Wort gesagt. Im Flur öffnete er den Umschlag, las die Zeilen und wurde noch ein wenig blasser. Barbara hielt ihre Hand hin, und er gab ihr den Brief. Er war kurz, doch lang genug, ein paar böse Vorwürfe zu formulieren.
»Es tut mir Leid, Thomas. Aber sie war krank. Damit war zu rechnen.« Sie wollte ihn umarmen, aber er stieß sie weg.
»Wenn sie hier geblieben wäre, würde sie noch leben.« Er riss ihr den Brief aus der Hand.
»Ich hätte nicht auf dich hören dürfen, Barbara. Mein Gefühl sagte mir, dass ich ihr helfen muss, aber du …!«
»Nein, Thomas. Den Schuh ziehe ich mir nicht an.«
Sie sah sein Entsetzen und seine Trauer, und plötzlich erkannte sie, dass seine Gefühle für Katharina die einer Affäre deutlich überstiegen hatten. Barbara hatte schon verloren, bevor Katharina in der Villa aufgetaucht war. Die Erkenntnis war bitter für sie, aber sie verschaffte ihr endlich Klarheit.
»Du hättest ehrlich zu mir sein müssen, Thomas. Du hättest mir sagen sollen, wie sehr du sie liebst. Das hätte vieles einfacher gemacht.«
Er schwieg. Er war weiter weg als jemals, seit sie sich kannten.
Sie warf einen Blick in den Spiegel. Die halb durchgemachte Nacht hatte Spuren hinterlassen. Ringe unter den Augen, die Kleidung verknittert. Sie kam sich regelrecht schmutzig vor. Kurz entschlossen ging sie ins Bad und stieg unter die Dusche. Da war viel, das sie abwaschen wollte. Plötzlich dachte sie wieder an Jakubians Kuss letzte Nacht und lächelte einen Moment. Aber hier kam ihr das ganz unpassend vor.
Ein Handtuch um den Körper gewickelt, ging sie ins Schlafzimmer und öffnete den Kleiderschrank. Die meisten leichten Sachen, die sie gerne trug, hatte sie mit zu Heinz genommen. Sie fand eine Jeans, die ihr nie recht gefallen hatte und ein einfaches T-Shirt, das sie seit Jahren nur im Haus getragen hatte. Glücklicherweise hing da noch ein Blazer, der dem Ganzen einigermaßen Stil gab. Ab und an sah sie durch die halb geöffnete Tür zu Thomas, der Katharinas Brief immer und immer wieder durchlas. Barbara setzte den Text aus dem Gedächtnis
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