Blutlied -1-
auch ernst genommen.
Ludwig hatte einen Termin für die nächste Woche festgelegt.
»Und es werden sein derer Zwei, die dem Dunkel entgegentreten. Ihre Schwingen werden überdecken das Böse. Ihre Liebe wird zerreißen den Hass! Sie werden vernichten die Sphäre des Blutes und gewinnen des Menschen Seele!« hallten die Sätze durch Asburyhouse. Immer wieder las Frederic sie sich laut vor. Als wolle er sich damit Mut machen. Als suche er hinter den Worten nach einem weiteren, neuen versteckten Sinn.
Ja, ja – es konnte auch etwas anderes bedeuten. Aber gab es solche Zufälle? Gab es überhaupt Zufälle?
»Verdammt!«, rief Frederic. »Auch ich bin ein Vampir. Wie sollte ich mich gegen meine ...« Er sprang hoch, machte einen Salto und landete auf der gegenüber liegenden Seite des Raumes. »Gegen meine ... Brüder und Schwestern ... stellen?«
»Ist es jetzt so weit?«, ließ sich Ludwig vernehmen, der hinzu getreten war. »Reißt der Faden?«
»Ich weiß es nicht. Wie lange noch, mein Freund? Wie lange noch soll ich in dieser Zerrissenheit leben? Wie lange noch soll ich Kaninchen trinken, wenn dort draußen das warme Blut lebendiger Menschen auf mich wartet?« Frederic fauchte und machte eine Geste der Abscheu. Er beugte seinen Oberkörper vor, seine Finger wurden zu Krallen. Aus seinem Mund wuchsen zwei Zähne, wie die eines jungen Säbelzahntigers. In seinen roten Augen loderte Blutdurst.
Ludwig wich überrascht einen Schritt zurück, hielt dem Fluchtreflex jedoch stand.
Nein, Frederic!, rief Caroline. Nein – tue es nicht! Wenn du fliehst, wird er dich verfolgen, er wird dich schlagen wie der Tiger eine Antilope!
»Ich bin ein Narr, Ludwig. Ich bin ein Narr, weil ich einer unmöglichen Hoffnung folge.«
»Die Seance, Frederic! Du hast eine winzige Chance.«
»Welche soll das sein, he?«, zischte der Vampir. »Meinst du, durch diesen Hokuspokus erlange ich Caroline zurück? Glaubst du, irgendetwas wird sich ändern?«
»Haben Sie etwas zu verlieren? Sie haben zwei Jahre gewartet. Das Geheimnis offenbart sich Stück für Stück! Außerdem haben Sie es beschlossen. Nun führen Sie es aus««
»Ich bin kein Mensch mehr, Ludwig. Ich bin ein Untoter. Ich kann Häuserwände erklimmen wie eine Fliege, ich kann in die Nacht hinaus fliegen wie ein Vogel, ich sehen Dinge, die du dir in deinen kühnsten Träumen nicht vorstellst. Ich blicke durch dich hindurch, auf den Grund deiner Seele.«
»Und was siehst du?«, schmetterte Ludwig.
Frederic sackte zusammen und schwieg. Er bebte wie ein Raubtier.
»Was, verdammt, siehst du?«, donnerte Ludwig noch einmal.
Frederic sprang über den Sessel. Er hangelte sich an den Holzstreben unter die Decke. Dort hing er und blickte herab. Mit weit ausgebreiteten Armen ließ er sich fallen und kam direkt vor Ludwig auf die Füße. Er schlug seine Krallen auf die Schultern des alten Mannes. Sein Kopf ruckte vor. Auge in Auge standen sie dort.
Caroline wischte dazwischen, versuchte, sich bemerkbar zu machen. Vergeblich.
Frederic atmete schwer. Er bewegte kaum die Lippen, aber seine Stimme war klar und vernehmlich. »Ich sehe einen Freund. Ich sehe einen Mann, der ahnt, was richtig ist.«
Ludwig war kreidebleich. Seine Oberlippe zitterte. Schweißtropfen liefen über seine Stirn. Er nickte langsam. »Ja, Frederic. So ist es ...«
Frederic breitete die Arme aus und legte sie um Ludwig. Er zog die schmale Gestalt des alten Mannes an sich. Er drückte ihn und erst jetzt sah Caroline, dass dem Vampir blutrote Tränen über die Wangen liefen.
Und dann geschah etwas, dass Caroline in all den Monaten ihrer Körperlosigkeit nicht gespürt hatte: Zorn! Wut! Und Abscheu gegenüber ihrem Mörder! War sie Frederics Schwingungen ausgeliefert? Strahlten seine Impulse des grausamen Tatendranges genauso auf sie ab wie seine Düsternis, Trauer und Depression? Ja, so schien es. Caroline überlief ein Zittern. Diese Weissagungen, die geplante Seance. Frederic fürchtete sich davor.
F und C!
Nicht Football Club, sondern …
Frederic und Caroline?
Was hatte das zu bedeuten? Worauf lief das hinaus?
Sie ließ die Männer in ihrer Umarmung alleine. Sie huschte ins Untergeschoss, legte ihre Schwingen über die Abdeckung des Kamins, ruhte in astraler Empfindsamkeit und wartete.
Es würde noch ein paar Tage dauern.
Sie wartete jetzt zwei Jahre – da kam es auf ein paar Tage mehr oder weniger nicht an.
Ein beißender Schmerz riss Caroline aus ihrer Verinnerlichung.
Ihre Anima
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