Blutlinien - Koeln Krimi
Menschheit, wozu Sexualität nun einmal bestimmt ist. Deine … diese Sexualität dient einzig der … der Befriedigung!«
»Dann hast du mit Papa also seit einundzwanzig Jahren nicht mehr geschlafen, oder wie? So lange dürfte Fabians Zeugung her sein.«
»Dein Sarkasmus ist hier völlig fehl am Platz, mein Fräulein«, zischte ihre Mutter.
»Okay«, lenkte Dana ein. »Und was ist mit den vielen Heteropaaren, die gar nicht daran denken, Kinder in die Welt zu setzen?«
»Jetzt wirst du unsachlich. Und zu deiner Information: Oft sind kinderlose Ehen keine Freiwilligkeit, und die Paare gehen durch Martyrium und Leid, bis es schließlich klappt oder sie ein Kind adoptieren.«
Frostiges Schweigen.
»Lâle und ich waren bereits beim Standesamt und haben das Aufgebot bestellt. Es war eine ziemlich spontane Entscheidung, aber wir sind uns ganz sicher … und na ja, unser Termin ist in vier Wochen.«
Dana sah, wie ihr Vater zusammensackte.
Gerda Jacobi hielt nun nichts mehr auf dem Sofa, sie sprang auf und lief im Zimmer umher. »Du bist doch nicht ganz bei Trost. Das ist doch wieder so ein Schnellschuss von dir, ohne Sinn und Verstand!«
Dana biss sich auf die Unterlippe. Der Mietvertrag für die gemeinsame Wohnung war unterschrieben. Morgen um elf Uhr hielt der Umzugswagen vor der Tür, und sie hatte noch nicht gepackt. Lâle ging davon aus, dass sie längst mit ihren Eltern gesprochen hatte. Sie hatte die Dinge schleifen lassen, viel zu lange.
»Ich glaube, du weißt gar nicht, was du redest.« Ihre Mutter schlug einen versöhnlichen Ton an. »Du bist einfach verunsichert oder auch überfordert. Studium, dein Ehrenamt und deine vielen Freunde. Wir verstehen, dass das Leben einem Angst machen kann und …«
»Das Leben macht mir keine Angst!«, schrie Dana, zitternd am ganzen Leib. »Vor euch beginne ich mich zu fürchten!«
Ihre Mutter ging zum Wohnzimmerschrank, suchte in einigen Unterlagen und reichte Dana schließlich eine Visitenkarte. »Frau Dr. Keyfass ist eine Kollegin deines Vaters und eine hervorragende Analytikerin. Sie hat jede Menge Erfahrungen auf dem Gebiet … äh … besonderer Entwicklungsstörungen.«
»Homosexualität ist ja kein Defekt im organischen Sinne«, beeilte sich ihr Vater zu sagen. »Vielmehr handelt es sich um eine psychische Störung mit unterschiedlicher Ausprägung. Die klassische Analyse erzielt da ganz ordentliche Erfolge und …«
»… die Konstitutionstherapie ebenfalls«, ergänzte seine Frau. »Im Prinzip leidest du an einer Reifungsstörung, die sich in homoerotischen Empfindungen äußert, wir wissen nicht, was da schiefgelaufen ist, aber das lässt sich ja herausfinden.«
»Und natürlich suchen wir die Schuld auch ein wenig bei uns«, ereiferte sich Danas Vater mit Blick auf seine Frau. »Es gibt einige Erklärungsansätze, wie zum Beispiel eine frühkindliche Mutter-Tochter-Störung, falsche Vorbilder oder genetische Vorbelastungen …«
Dana starrte von ihrem Vater zu ihrer Mutter und konnte nicht glauben, auf welche Gedanken ihre Eltern kamen. Sie waren Ärzte, gebildet, in vieler Hinsicht herzlich, konservativ ja, aber doch keine Dummköpfe. Jetzt wirkten sie wie Sektenmitglieder oder vernagelte Extremisten. Wie sie da saßen, betretene Gesichter machten, mit Gleichklang in den Stimmen und einem drohenden Unterton. Wenn sie sich so an die Straße gestellt hätten, dann würde man ihnen den »Wachturm« aus den Händen reißen.
Es klingelte an der Haustür.
»Kein Wort mehr heute Abend«, sagte Hendrik Jacobi und erhob sich.
»Wir reden morgen weiter!«, verkündete ihre Mutter und eilte ebenfalls zur Tür.
Mit Tränen in den Augen schnellte Dana vom Sofa, schnappte sich ihre Jacke und stürmte an ihrem verdutztem Bruder und seiner Freundin vorbei zur Haustür hinaus.
Venedig
Cesare hatte Glück. Er erreichte das Vaporetto, kurz bevor es ablegte.
Augenblicklich verschluckte das Tuckern des Schiffsmotors das Stimmengewirr an Bord. Schnell entfernte sich das Boot vom Anleger des Lidos und nahm Kurs auf die Lagunenstadt.
Die Sonne kam nicht richtig durch. Trotzdem lagen die Temperaturen bei angenehmen fünfundzwanzig Grad, und es wehte ein laues Lüftchen. Cesare fror dennoch, zog die Schultern hoch und vergrub seine Hände in den Manteltaschen.
Am Anleger San Marco stieg er um und betrat wenig später das »De Nico«. Touristen bevölkerten die Terrasse der berühmten Gelateria. Nougateis mit Vanillehaube und Schokokruste, die Spezialität des Hauses,
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