Blutlinien - Koeln Krimi
wollte dich nicht … aber ich musste es dir doch sagen. Vielleicht hat die Sache einen ganz banalen Hintergrund.«
»Hey, kein Problem. Ich komme schon klar.« Lou wischte die Gedanken an Clemens beiseite und schob ihre Gefühle fort. »Was wolltest du noch mit mir besprechen?«
»Es geht um Michel, und jetzt komm mir ja nicht mit ›Das habe ich dir gleich gesagt‹.«
»Bestimmt nicht.«
Hanna holte Luft. »Ich finde, er verhält sich … komisch.«
»Kannst du ›komisch‹ präzisieren?«
»Ich weiß auch nicht, er scheint nicht mehr ganz bei der Sache. Sein Ton ändert sich. Es ist wenig greifbar, aber ich finde, dass er schnell die Geduld verliert. Meinen Lehrjungen hat er gestern ohne Grund völlig niedergemacht.«
»Vielleicht geht ihm die Düse, weil er erkennt, dass er sich mit der Bäckerei übernommen hat.«
»Das glaube ich nicht.«
Lou zog eine Augenbraue hoch. »Oder er will dein Geschäft doch nicht übernehmen und weiß nicht, wie er aus der Nummer herauskommt. So was gibt es in jeder Branche. Wie verhält er sich denn dir gegenüber?«
»Gereizt, meistens jedenfalls. Manchmal denke ich, er hat zwei Gesichter.«
Lou berührte die Hand ihrer Freundin. »Was willst du tun?«
»Ich dachte, es kann ja nichts schaden, wenn ich mal den Bäcker anrufe, bei dem er früher gearbeitet hat. Angeblich hat er ja mehrere Stellen gehabt, unter anderem in einem Betrieb in Hagen.«
»Du hast da angerufen?«
»Ja«, sagte Hanna. »Aber egal, mit welcher seiner ehemaligen Stellen ich telefoniert habe, keiner kannte ihn.«
»Merkwürdig.« Lou riss die Tüte auf, die Hanna mitgebracht hatte, und biss in ein Nugathörnchen.
»Ich habe gestern den ganzen Nachmittag am Telefon gehangen. Was hat das zu bedeuten?«
»Michel hat gelogen«, sagte Lou mit vollem Mund.
»Aber warum?«
»Das weiß ich nicht. Du kennst ihn ja eigentlich gar nicht. Er hat sich auf dein Inserat im Handwerksblatt gemeldet, jedenfalls hat er das gesagt, und …«
»Ich hatte keinen Grund, das zu bezweifeln«, verteidigte sich Hanna.
»Das ist ja auch kein Vorwurf, aber im Prinzip ist er aus dem Nichts aufgetaucht.«
»Aber er ist Bäcker, ich habe kaum einen Menschen gesehen, der sein Handwerk dermaßen beherrscht.«
»Trotzdem spielt er dir etwas vor, die Frage ist: Warum?«
»Soll ich ihn mit dem Ergebnis meiner Telefonate konfrontieren?«
»Auf jeden Fall, aber ich wäre gerne dabei, wenn du mit ihm sprichst.«
Als Hanna gegangen war, blieb Lou mit Unruhe zurück. Michel und Clemens. Ihre Gedanken an beide Männer verursachten ihr ein flaues Gefühl im Magen.
Lügen ist der Anfang vom Ende, denn einen guten Grund für die Unwahrheit gibt es eher selten.
Lou fiel nichts ein, was eine Lüge rechtfertigte. Sie ging davon aus, dass Clemens’ Unaufrichtigkeit eine schwerwiegende Ursache hatte, genauso wie wahrscheinlich Michels.
Sie rief auf ihrer Dienststelle an und bat eine Kollegin um eine Meldeamtsüberprüfung von Clemens.
Keine zehn Minuten später klingelte ihr Handy.
»Ich habe einen Clemens Kohlmann gefunden. Das Geburtsdatum stimmt überein, gemeldet ist er in der Takustraße in Ehrenfeld.«
Damit hatte Clemens ihr definitiv eine falsche Anschrift genannt.
»Wohnt er allein?«, fragte Lou.
»Keine Ahnung, soll ich das noch einmal prüfen?«
»Nicht nötig.«
Lou beendete das Gespräch. Was für ein Motiv konnte Clemens zu einem solchen Vertrauensbruch verleiten? Hatte er eine Freundin? War er vielleicht verheiratet? Ließ er sich deshalb so ungern festnageln? Hatte er ihr aus diesem Grund seine Wohnung vorenthalten? Oder gab es einen ganz banalen Grund für sein Theater? Lou wollte es herausfinden, und zwar so schnell wie möglich.
* * *
Es ist niemand zu Hause. Das unauffällige Stückchen Papier, das ich eben zwischen Haustür und Metallrahmen gesteckt habe, ist noch da. Hätte jemand die Tür bewegt, wäre es herausgefallen. Ich schlendere auf der gegenüberliegenden Straßenseite am Haus vorbei bis zum Wendehammer, betrete den kleinen Park und beobachte einen blassen Jungen, der auf einem Spielgerät sitzt. Der Kleine jauchzt und lacht, während die verrostete Feder der dicken Biene unter seinem Gewicht quietscht.
Als es zu nieseln beginnt, setze ich die Kapuze auf und gehe zurück. Diesmal nähere ich mich dem Haus zielstrebig, hüpfe über das Mäuerchen in den Garten, trete an die Terrassentür, hole den Ersatzschlüssel unter der Gießkanne hervor und stehe keine Minute später im
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