Blutlust
leise und wischte ihre letzte Träne mit einer so schroffen Bewegung weg, als wolle sie damit sagen, dass sie für mich verschwendet sei. »Aber ich werde es dir beweisen.«
Sie nahm den Kolben vom Tisch und schritt hinüber zu der Tür zum Nebenraum des Labors. »Ich bin gleich wieder da.« Damit ging sie und zog die Tür hinter sich zu.
»Hey!«, rief ich. Ich wollte sie mit der Probe nicht allein lassen. Wollte nicht zulassen, dass sie sie vielleicht manipulierte. Also ging ich ihr schnell hinterher. Aber gerade als ich den Türgriff berührte, knackte es im Schloss, und ich betätigte ihn vergeblich. Die Tür war zu. Fest verschlossen.
»Hey!«, rief ich noch einmal und haute mit der flachen Hand dagegen. »Mach sofort wieder auf!«
Doch Jane antwortete nicht.
»HEY!«
Da hörte ich sie plötzlich durch die Tür hindurch aufschreien – und gleich darauf ein furchtbares Krachen und Poltern, so, als würden Möbel umgestoßen. Das Klirren von Glas auf dem Boden. Dann wieder ein Schrei; etwas leiser als der erste, so, als würde er von irgendetwas erstickt.
»Jane!«, rief ich und warf mich gegen die Tür.
Ein dritter Schrei – gurgelnd.
»Jane!« Immer und immer wieder sprang ich mit der Schulter gegen das Holz, bis ich das Gefühl hatte, sie würde brechen. Dann endlich gab die Tür nach, und ich stolperte in den Raum. Eine zweite, gegenüberliegende Tür fiel gerade ins Schloss.
Da sah ich Jane!
Sie lag neben einem umgestürzten Regal voller dampfender und brodelnder Chemikalien am Boden – zuckend … in einer immer größer werdenden Lache ihres eigenen Blutes.
»Jane!«, rief ich ein drittes Mal und beugte mich zu ihr. Dann schrie ich, so laut ich konnte, »HIIILFEEE!«
Doch noch bevor ich das zweite Mal Luft holen konnte, hatte Jane bereits aufgehört zu zucken. Sie war tot.
In der einen zur Klaue gekrümmten Hand hielt sie noch ein paar Splitter des zerbrochenen Erlenmeyerkolbens, dessen Inhalt jetzt längst mit ihrem eigenen Blut vermischt war.
Da flog die Tür auf … und Carla stand vor mir.
Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie Jane am Boden liegen sah.
»Was ist hier passiert?«
»Jemand hat Jane umgebracht«, sagte ich überflüssigerweise.
»Wer?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe niemanden gesehen.«
»Du musst hier verschwinden, Sinna«, sagte sie gedankenschnell. »Sie war bei der Polizei und hat Max angezeigt. Wenn dich jemand hier findet, hält man dich entweder für seine Komplizin oder für ihre Mörderin.«
»Was?«, fragte ich verwirrt.
»Lauf los, und versteck dich im ›Kitty‹. Warte dort auf mich«, drängelte sie. »Ich kümmere mich hier schon um alles.«
»Aber jemand muss doch einen Krankenwagen rufen.«
»Den braucht sie nicht mehr.«
»Dann die Polizei.«
»Das mache ich, sobald du weg bist.« Sie holte ihr Handy raus. »Und jetzt verschwinde!«
Ich erkannte, dass sie recht hatte – und rannte los.
– Kapitel 11 –
Vom Regen in die Traufe
Auf meiner Flucht über das Unigelände lief ich Max in die Arme.
Beim Deutschen Haus bog ich gerade um die Ecke Bobst Library, als er vor mir stand. Er lächelte, als er mich sah. Ich lächelte nicht zurück, sondern suchte ihn instinktiv mit meinen Augen nach Blutspuren ab. Er spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Sein Gesicht wurde ernst.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er besorgt und wollte mir die Hände auf die Schultern legen.
Ich machte einen Schritt zurück.
»Alles fein«, log ich. »Ich hab es nur gerade ziemlich eilig. Lässt du mich bitte vorbei?«
»Was ist los, Sinna?« Er klang wirklich besorgt; schaute mich sanft, aber eindringlich an.
»Nichts ist los.«
Seine Nähe machte mir Angst – eine ganz andere Angst als die willkommene gestern Nacht.
Ich wusste nicht, ob ich ihn für den Mörder an Britney, Maggie und Jane halten sollte oder einfach nur für einen abgedrehten Realitätsflüchtling mit hochgradig sadistischer Neigung. Aber sosehr er in den letzten Tagen der Fokus all meiner Sehnsüchte geworden war, in der vergangenen Nacht gar mein Dunkler Gott, mit dem ich größeres Glück erfahren hatte als jemals zuvor in meinem Leben, so sehr wollte ich jetzt so schnell wie möglich weg von ihm.
Die Gefahr, die in meinen Augen von ihm ausging, war keine verspielte Selbsttäuschung mehr, die einfach nur beim Ficken kickte; sie war jetzt real – egal, ob ich dabei an Janes aufgerissenen Leib dachte oder an Carlas völlig vernarbten Hals oder an die Folterkammer.
Das
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