Blutlust
davor. »Habt ihr überhaupt eine Ahnung, womit ihr es hier zu tun habt? Was fällt euch ein, euch an ihr zu vergreifen, ihr Würmer?!«
Sie war jetzt ähnlich gestylt wie bei unserer ersten Begegnung im Park. Ledercorsage, Minirock, OverkneeStiefel, schwarz geschminkte Augen, blutroter Mund. Das lange schwarze Haar offen.
Sie sah aus wie eine Rachegöttin.
Und ich war so verdammt froh, sie zu sehen.
Cyrus und Caligula wimmerten vor Schmerzen und kamen auf Händen und Knien zu ihr angekrochen – um ihr die Stiefelspitzen zu küssen!
»Vergebung, Herrin«, flüsterte Caligula. Und auch Cyrus legte die Stirn auf den Boden. »Vergebung.«
»Habt ihr sie gebissen?«, verlangte sie zu wissen und schaute alle vier der Reihe nach forschend und eindringlich an. Sie schüttelten reumütig die Köpfe, und Carlas Züge entspannten sich ein wenig.
»Sag ihnen, sie sollen mich losmachen«, sagte ich. Ich wollte nur noch von hier weg.
»Zu dir komme ich noch«, antwortete Carla – barsch.
Ich erschrak. Wo war ihr Mitgefühl von heute Mittag? Ihre Anteilnahme und Hilfsbereitschaft von vorhin? Sie war so eiskalt wie bei unserem Treffen im Park. War sie auf eine seltsame verdrehte Weise wütend auf mich, weil ihre ›Lakaien‹ sich an mir hatten vergehen wollen?
»Aber …«, begehrte ich auf.
»Schweig!«, herrschte sie mich an – und die Peitsche zischte durch die Luft. Die Spitze traf mich mit einem Knall am Oberschenkel, und der Schmerz zuckte mir durch den ganzen Körper.
Da wurde mir klar: Sie war nicht hier, um mir zu helfen!
Ich war nicht hier, damit sie mich beschützen konnte.
Irgendetwas lief hier ganz gewaltig schief.
»Alles läuft so, wie es laufen soll«, sagte sie mit einem triumphierenden Grinsen – ganz so, als hätte sie meine Gedanken gelesen.
»Auch wenn meine ›Pets‹ es beinahe verdorben hätten.« Sie trat Cyrus mit der Spitze ihres Stiefels mit voller Wucht in die Seite, und er krümmte sich vor Schmerzen.
»E-es w-wird nie wieder vorkommen, Gebieterin«, keuchte er, während er versuchte, wieder Luft zu bekommen.
»Und falls doch, wirst du es nicht überleben«, stellte sie kühl fest. »Hast du das verstanden?«
Er nickte eilig.
»Das gilt für euch alle«, sagte sie in die Runde. »Wer mir gehorcht, wird leben; wer nicht, stirbt.«
Ich erstarrte.
Max hatte also zumindest in der einen Sache die Wahrheit gesagt: Carla war krank. Sehr krank!
»Pah!«, lachte sie auf und schaute mich an. Schon wieder hatte ich das Gefühl, sie konnte meine Gedanken lesen.
»Dreist«, sagte sie. »Keine Ahnung haben, aber Urteile fällen. Es war schon immer die Zuflucht solcher wie dir, die nichts verstehen, sich hinter Wissenschaft zu verstecken, damit sie nicht glauben müssen, was sie mit eigenen Augen sehen. Zu definieren, zu kategorisieren, zu katalogisieren und zu etikettieren. Und alles, was nicht in eure Schubladen passt, existiert entweder nicht, oder ihr nennt es einfach ›krank‹.
Das ist eure größte Errungenschaft: euer Nichtwissen Wissenschaft zu nennen und euch damit im absoluten Bewusstsein eurer Ahnungslosigkeit zu Richtern aufzuspielen über all das, was ihr nicht versteht. Das ist euer allergrößter Zaubertrick. Mit dem ihr euch selbst Macht vorgaukelt. Behauptetes Wissen. Das Fundament eurer Gesellschaft. Nichts als heiße Luft. Deswegen ist es so einfach, euch zu manipulieren. Euch zu beherrschen. Weil ihr nur glaubt, was ihr glauben wollt.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon sie da sprach; aber sie spuckte die Worte mit großer Leidenschaft aus, so, als spräche sie über etwas, das ihr schon lange am Herzen lag.
»Und die wenigen unter euch, die die Wahrheit erkennen und sie ans Licht bringen wollen, stempelt ihr selbst als ›Freaks‹ ab und ihr im Gegensatz zu eurem echtes Wissen als Humbug.« Sie lachte.
»Und wenn sie dann spurlos verschwinden, seid ihr viel eher erleichtert als bestürzt.«
»Du hast …?« Ich konnte es nicht aussprechen. »Ihr habt …?«
»Du hast? Ihr habt?«, äffte sie mich nach. »Welche Rolle spielt das? Wichtig ist einzig und allein, dass du mir geglaubt hast und jetzt bist, wo ich dich die ganze Zeit haben wollte.«
»HILFE!«, schrie ich aus Leibeskräften – in der winzigen Hoffnung, dass Sandra vielleicht noch oben vor dem Eingang herumlungern und mich vielleicht hören würde. »HIIIILFEEE!«
Carla schwang die Peitsche – und traf mich diesmal am anderen Oberschenkel. Ich biss die Zähne zusammen.
Sie drehte sich zu der
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